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1) Völlig losgelöst 1) Völlig losgelöst
2) Giftküche der
     abendländischen Kultur

Bekanntlich gibt es über die Divina Commedia einen Berg an Literatur, hoch wie der Kilimandscharo.  Man bräuchte einen ziemlich langen Güterzug, um diesen von A nach B zu transportieren und jedes Jahr kommt nochmal ein ordentlicher Güterwaggon dazu.  Was diese Werke fleißigen Sinnens verbeamteter Geistlicher  auszeichnet, ist die weitgehende Losgelöstheit vom konkreten Text.  Diese Losgelöstheit vermindert aber keineswegs die Anzahl der möglichen Interpretationen.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Möglichkeiten scheinen mit dem Grad der Losgelöstheit exponentiell zu wachsen.  Das ist es ja gerade, was die Produkte der Phantasie charakterisiert, die Losgelöstheit und die sich daraus ergebende Vielfalt an Möglichkeiten.  Das ist das Positive.  Genau genommen ist es aber nicht das,  was uns in den Produkten schwerbewegten professoralen Sinnens entgegenschallt. Genau genommen haben wir es mit interessierter Verklärung zu tun und mit ideologischem Quark, der selbst von dem großen Grimmigen aus der Toskana an Borniertheit nicht übertroffen wird, ohne dass man für die verbeamteten Geistlichen die Entschuldigung geltend machen könnte, dass sie aus der Perspektive des Mittelalters heraus nicht zu tieferen Einsichten hätten kommen können. Die verbeamteten Geistlichen leben heute, im Jahre 2009, und beziehen ihr Salär aus Steuergeldern, die heute verdient werden.  Wir haben es also, obwohl einer gewissen Losgelöstheit nicht prinzipiell abgeneigt, vorgezogen, uns den Text der Divina Commedia tatsächlich mal anzuschauen. Terzine für Terzine, also 2000 DIN A4 Seiten an Kommentar zu schreiben.  Sie finden diesen, wenn Sie unter Divina Commedia auf einen „Gesang“ clicken jeweils rechts.  Beim infernalischen Geträller war es noch nicht nötig, tatsächlich auf jede Terzine einzugehen, weil es da auch welche gibt, die unproblematisch sind. Beim Läuterungsberg und im Paradies sind wir dann auf jede einzeln eingegangen und haben sie,  weil die Übersetzungen teilweise fehlerhaft sind,  auch alle nochmal übersetzt.  Auch wenn das Folgende also so losgelöst ist wie alle anderen Kommentare zur Divina Commedia, gibt es doch einen gewaltigen Unterschied.  Das hier Gesagte ist durch einen ausführlichen Kommentar unterlegt.  Dieser Kommentar macht die Divina Commedia auch überhaupt erst lesbar, wir hoffen flüssig lesbar.  

Das nun folgende ist lediglich eine Zusammenfassung des dort Gesagten.

3) Ideologie
4) Wissen
5) Dante als Schöpfer der
     italienischen Sprache?
6) Dunkelsprech
7) Konzeptionelle Mängel
8) Abwesenheit eines      Subjektes
9) Goethes Faust und die      Divina Commedia
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2) Giftküche der abendländischen Kultur
 

Wir schreiben es noch ein paar Mal. Dies ist eine Zusammenfassung eines  2000 DIN A4 seitigen Kommentars.  Wir fassen hier zusammen, was dort ausgeführt wird.  Die Aussagen über Dante sagen viel über die Leute, die diese machen, aber wenig über Dante.  Wer sagt (die Dante Gesellschaft tut dies auf ihrer Website), dass Dante ein Dichter wäre, dessen Aktualität zu zeigen und zu vermitteln sei, der hat ein Problem mit eben dieser Aktualität bzw. der Gegenwart. Dante ist der Giftschrank der abendländischen Kultur:  Rassismus, Antisemitismus,  dogmatische Halsstarrigkeit, Hymnen auf die Wegbereiter der Inquisition,  christlicher Fundamentalismus, Verachtung der  Demokratie und Bewunderung für alles Militärische. Volles Ballet. Die Versenkung ins Jenseits führt nicht nur zu einem Desinteresse am Diesseits, sondern auch zur totalen Unkenntnis desselben.  Wir werfen Dante nicht mal vor, dass er völlig unfähig war, seine Zeit systematisch zu bewerten, dass er sich verliert in der Nennung des Sündenregisters einiger ihm bekannten Zeitgenossen. Wir erwarten von einem Mensch des Mittelalters nicht, dass er Sinnvolles zur politischen Ordnung, Wirtschaft, Recht etc. von sich gibt. Wir verstehen durchaus, dass der christlich / katholische  Hokuspokus bzw.  die Scholastik den Menschen das Hirn zukleisterte und einen direkten Weg ins Himmelreich wies und auf das Diesseits keine Gedanken verschwendet wurden. Dass  ein Mensch des Mittelalters  folglich nicht die Instrumente zur Hand hatte, die der moderne Mensch besitzt und folglich auch nicht in der Lage war, Vorgänge  systematisch zu bewerten.  Wenn aber heute, also im Jahre 2009, verbeamtete Geistliche auf die Aktualität der Divina Commedia hinweisen, muss schon die Frage erlaubt sein,  ob die mit der Ausbildung von Studenten betrauten verbeamteten Geistlichen noch auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen.  Sie tun es wohl,  solange diese nicht bedroht ist. Aber werden Leute, die mental derart schlecht ausgestattet sind,  es auch dann noch tun, wenn diese in Gefahr ist?  Sie haben es in der Vergangenheit nicht getan und man kann sich schon, nimmt man Dante als Seismograph, die Frage stellen, ob die mentale Ausstattung heute tatsächlich besser ist.  Dante wirft Fragen auf, unter anderen diese: Wäre es nicht sinnvoll, die verbeamteten Geistlichen mit Grundkenntnissen unserer Wirtschaft- und Sozialordnung vertraut zu machen, ihnen klar zu machen, dass das Rüstzeug, das Dante zur Verfügung stand, weder ausreicht noch exemplarisch ist?  Dante als Mensch des Mittelalters zu sehen, ist völlig unproblematisch. Dann ist er auch interessant.  Aufzuzeigen ist aber der Fortschritt, der seither stattgefunden hat. Zwischen Goethes Faust und der Divina Commedia liegen 500 Jahre Fortschritt (siehe unten).  Dies wäre die zu vermittelnde Message.  Dante steht für all das, was wir absolut nicht brauchen und das uns keiner Lösung näher bringt.

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3) Ideologie
  Dante ist weniger ein Dichter, als ein Terzinenschmied.  Genau genommen ist die Divina Commedia ein Sammelsurium an angelesenem, halbverdautem Wissen, das ohne schöpferisches Genie verwurschtet wird. Es geht reichlich quer durch den Gemüsegarten.  Verwurschtet wurde die gesamte Geschichte bis zu seinen Lebzeiten,  das gesamte Personal der griechischen Mythologie hat seinen Platz gefunden,  soweit  Dante es verstanden hat, auch das Weltbild und die astronomischen Vorstellungen des Ptolemäus und natürlich sehr, sehr viel Thomas von Aquin.  Über weite Strecken ist die Divina Commedia eine Darstellung der Summa Theologiae des Thomas von Aquin in Terzinenform, wobei  die Darstellung der scholastischen Theologie in Terzinenform diese weder verständlicher noch besser lesbar macht.  Auch amüsanter wird der Hokuspokus dadurch nicht.  Das Gegenteil ist der Fall.  Eines allerdings ist in der Divina Commedia kaum enthalten: Dante.  Oder andersherum ausgedrückt, ein schöpferisches Subjekt, das die Welt individuell verarbeitet und über das berichtet, was jenseits der Sprache liegt, ist nicht vorhanden.  Was hiermit gemeint ist,  kann man so nicht verstehen.  Im Gegensatz zu Dante ist der Autor aber kein Anhänger von Dunkelsprech, er bildet sich ein, innerhalb des Kommentars  an konkreten Beispielen gezeigt zu haben, was er meint.  Schaut man sich tatsächlich Terzine für Terzine an, wird man auch das oft kolportierte Gerücht,  dass Dante in enzyklopädischer Weise mit dem gesamten Wissen des Mittelalters vertraut war,  eher kritisch sehen.  Wir können es hier nur andeuten und verweisen wieder auf  den Kommentar.  Wir würden eher sagen, dass sich Dante  für eine umfassende,  differenzierte Sichtweise geschichtlicher Personen überhaupt nicht interessierte, geschweige denn vermocht hätte,  die Komplexität einer historischen Figur zu erfassen oder gar zu beschreiben.  Es ging ihm ausschließlich darum, durch  isoliert betrachtete Ereignisse aus der Biographie der jeweiligen Person die Katelogisierung  der Sünden, wie sie in der Scholastik  bestand, zu illustrieren.  Teilweise besteht  zwischen der Figur, wie sie Dante schildert, und der historischen Figur nur ein sehr loser Zusammenhang. Teilweise übernimmt Dante einfach nur Gerüchte, die über diese Figur kursierten und teilweise ist die Darstellung  Dantes,  wie im Kommentar öfter gezeigt,  schlicht falsch. Uns interessiert  aber im Grunde nicht mal so sehr,  ob seine Darstellung falsch oder richtig war; wir werden uns  kaum überlegen, ob der Schiller Wallensteins mit dem historischen Wallenstein übereinstimmt, denn Schiller erweckte seine Figur zum Leben;  Schillers Figuren sind psychologisch plausibel.  Maria Stuart mag in ihrer ideellen Konzeption  mehr Schiller als Maria Stuart sein,  aber eben dies  macht ihre Größe aus. Bei Dante haben wir nichts dergleichen.  Wir haben eine mechanische Einordnung in ein Gatter nach einem Ordnungsschema, das in etwa so ergreifend ist wie das Schema, nach dem ein passionierter Briefmarkensammler seine Briefmarken ordnet, so dass, aufgrund der Menge des Personals (es kursiert die Zahl 600 -  der Autor würde eher auf 2000 tippen)  die Lektüre der Divina Commedia streckenweise in etwa so spannend ist  wie ein Telefonbuch.  Dass Dante sich für historische Fakten und deren wie auch immer gearteten Durchdringung, künstlerisch, nach übergeordneten Zusammenhängend suchend oder kritisch bewertend nicht die Bohne interessiert, zeigt sich auch daran, dass er historische Figuren, ja selbst Zeitgenossen, genau gleich behandelt wie mythologische Figuren.  Die Parallelität zwischen Geschichte und Mythologie bei Dante zeigt sich aber nicht nur darin.  Es gelingt Dante nicht, genau genommen kommt er nicht mal auf die Idee, dass ein Dichter genau dies leisten müsste:  Mythen zu beleben.  Goethe referiert in der Iphigenie auf Tauris nicht einen Mythos, er durchdringt diesen Mythos, belebt ihn mit seiner eigenen Subjektivität.  Das Argument, dass Dante als Mensch des Mittelalters zu Dichtung, wie wir sie heute verstehen, nicht  in der Lage war, sticht. Allerdings wäre das von den Kommentatoren hervorzuheben.  Eine Figur wie Dante aus seiner Zeit heraus zu verstehen, bedeutet den Unterschied aufzuzeichnen, die Differenz und den Abstand zur Gegenwart zu beschreiben. Es bedeutet nicht, wie dies geschieht, ihn als für die Gegenwart exemplarisch hinzustellen. Wer das tut,  der lebt auch noch im Mittelalter und wenn ein „Literaturwissenschaftler“ dies tut, und sie tun es, wird er sich schon die Frage gefallen lassen müssen, ob  er zur Dichtung, der höchst individuellen Verarbeitung der Welt, die wahr ist, weil sie unsprachlich verstanden wird und die Welt transzendiert, überhaupt  einen Zugang hat.  In diesem Sinne ist die Begeisterung, die die verbeamtete Geistlichen  der Divina Commedia entgegenbringen, der Seismograph der Geisteswissenschaften.  Nochmal: Dies ist eine Zusammenfassung eines 2000 DIN A4 seitigen Kommentars.  Wir machen jetzt das, was die in Registertonnen  zu messenden Bücher über die Divina Commedia auch machen. Wir schreiben frei über dem Text schwebend, liefern aber einen Kommentar mit, der das hier Beschriebene ausführt.  An einer Stelle schlägt das Desinteresse  dann um in reine Ideologie.  Das ist die Stelle, wo er eine Hymne singt auf das römische Reich.  Offensichtich geleitet von der Idee, dass der Schöpfer Rom zum Zentrum der Welt erwählt hat, besingt er die herrliche Kraft, mit der Rom den Rest der Welt platt machte. Das geht dann nicht mal mehr auf das Konto Mittelalter, denn eine kritische, differenziertere Beschreibung hätte er schon römischen Historikern wie Tacitus entnehmen können.  
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4) Wissen
 


Es scheint im Bereich „Geisteswissenschaften“  (die Anführungsstriche beziehen sich auf beides, sowohl auf den Geist, wie auch auf die Wissenschaft)  nicht karrierefördernd zu sein, Inhalte, die obsolet sind, über Bord zu werfen.  Das betrifft nicht nur Dante.  Das betrifft eine ganze Reihe an Werken, die als für die jeweiligen Kulturräume bedeutend hingestellt werden, Lope de Vega, Calderón,  Marivaux, Fenélon etc. aber in den jeweiligen Kulturräumen schon seit 200 Jahren keine Sau mehr interessieren.  Die Beschäftigung mit dem tobenden Leben (beruflich für die Studenten weit  interessanter, denn egal wo ein „Geisteswissenschaftler“ arbeitet: als Lehrer,  in den Medien, als Schriftsteller etc., immer wird es darum gehen, Leute zu interessieren) ist weit weniger karrierefördernd, denn es entzieht sich der Beurteilungsfähigkeit der Kollegen, die ihn in ihr Reich aufnehmen sollen.  Das Elend perpetuiert sich, ist aus sich heraus auch nicht reformierbar und eine Aufgabe für die Politik. Aus demselben Grund kommt auch keiner auf die Idee,  die behauptete universale Bildung Dantes in Frage zu stellen.  Tatsächlich ist kaum beurteilbar, was Dante tatsächlich wusste. Wo es sich um Trivialwissen handelt - Geschichte / griechische Mythologie - war er fleißig, wenn auch nicht talentiert.  Zu einer eigentlichen Durchdringung des Stoffes war er völlig unfähig. Bemerkenswert ist einzig der zum System ausgebaute Dunkelsprech (siehe unten).  Der Dunkelsprech wiederum fasziniert „Geisteswissenschaftler“.  Da sie kaum in der Lage sind, zwischen einem Text, der an der Grenze des sprachlich Fassbaren operiert und einem Tiefsinn suggerierenden Dunkelsprech zu unterscheiden, halten sie den Dunkelsprech für Tiefsinn.  Eine Variante des Dunkelsprech (wir kommen darauf gleich zurück) ist das Kreuzworträtsel in Terzinenform.  Es werden einige Fakten genannt und  aus diesen Fakten muss dann die bezeichnete Person rekonstruiert werden (Deutscher Lyriker und Mediziner, Expressionist => Gottfried Benn).  Aus diesem Dunkelsprech lässt sich aber nicht entnehmen, wie umfassend Dante tatsächlich über historische Epochen informiert war.  Noch problematischer wird es beim Weltbild des Ptolemäus.  Aufgrund der Andeutungen können wir nicht entnehmen, inwiefern Dante das System tatsächlich überblickte, den dahinter stehenden mathematischen Apparat beherrschte. Wir können nicht mal entnehmen, ob er das Originalwerk, also den  Almagest tatsächlich kannte. Was Dante in der Divina Commedia tatsächlich verarbeitet hat, lässt sich ohne weiteres in drei Tagen erarbeiten.  Der heutige Leser ist eher mit der Schwierigkeit konfrontiert,  dass er Begriffe, die auch heute noch in der Astronomie verwendet werden,  also zum Beispiel  die Ekliptik, auf das ptolemäische Weltbild anpassen muss.  Übrig bleibt der scholastische Hokuspokus. Wer sich dafür interessiert, wer also wirklich nicht weiß, was er mit seiner Zeit anfangen soll, sollte das allerdings im Original und nicht in Terzinenform lesen. Es ist schon im Original schlimm und wird nicht dadurch besser, dass man es in Terzinen gießt.  Aus heutiger Sicht würde man sagen,  dass  Gegenstand von  Dichtung kaum ein Systemgebäude ist, das sich am besten rational darstellen lässt. Niemand käme auf die Idee, die „general theory of employment, interest and money“ von Keynes in Jamben und Kreuzreim darzustellen.  Wir lassen das aber einem Menschen des Mittelalters durchgehen, da die Erfindung des Subjekts, Bedingung von Dichtung, wohl erst 200 Jahre später einsetzte. Anzumerken bleibt aber noch, dass der persische Dichter Khayyam, 150 Jahr vor Dante,  schon Gedichte schuf, die ganz gewaltig nach Lyrik aussehen.  Ob man tatsächlich alles auf das Konto Mittelalter buchen kann oder nicht schlicht feststellen muss, dass Dante schlicht höchst durchschnittlich war, könnte man nur ermitteln, wenn man die ganze Zeit in den Blick nimmt.

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5) Dante als Schöpfer der italienischen Sprache?
 

Kolportiert wird auch oft die Aussage, Dante sei der Schöpfer des heutigen Standarditalienisch.  Das ist aus mehreren Gründen heraus Blödsinn. Erstens hat Dante keine Sprache geschaffen, wie dies etwa Luther in der Bibelübersetzung tat, der mehrere Dialekte verknüpfte, er hat lediglich geschrieben im  Toskanisch seiner Zeit,  das vom heutigen Standarditalienisch erheblich abweicht und auch von Italienern nicht mühelos gelesen werden kann.  Die These, dass die Lutherbibel die Verbreitung  eines bestimmten Dialektes  begünstigte ist eher plausibel, denn sie konnte anders als durch manuelle Vervielfältigung verbreitet werden.  Die Divina Commedia konnte erstmal nur abgeschrieben werden. Die Anzahl der Exemplare, die kursierten, dürfte sich also auf ein paar Hundert beschränkt haben.  Dass das Toskanische zur Norm wurde, dürfte eher der Dominanz von Florenz in der Renaissance geschuldet sein, wobei Norm, was das Italienische angeht, ziemlich relativ ist.  Bis auf den heutigen Tag kennt Italien stark abweichende Akzente,  die sich auch bei einem höheren Bildungsniveau nicht angleichen.  In diesem Zusammenhang kann man auch erwähnen, dass die von professoralen Geistlichen immer wieder vorgetragene Behauptung, dass sie in der Lage wären, die Divina Commedia sprachlich zu bewerten, als Selbstbeweihräucherung einzustufen ist.  Sie müssten mal ganz konkret an einer konkreten Terzine beschreiben, was sie daran fasziniert. Aus der Art der Darstellung ließe sich dann schon entnehmen, ob sie Phrasen dreschen oder etwas Authentisches berichten.  Lyrik ist in der Regel nur in der Muttersprache rezipierbar.  Nur in der Muttersprache besitzt man volle Kenntnis über den Wert eines Wortes innerhalb eines semantischen Feldes, kennt dessen regionale Herkunft, weiß, wo es gesellschaftlich verortet ist.  Gedichte, die man in der Fremdsprache noch 100 prozentig versteht, mag es geben.  Ein  Beispiel  wäre das Berühmte von Lord Byron.
My Spirit walked not with the souls of men,
Nor looked upon the earth with human eyes;
The thirst of their ambition was not mine,
The aim of their existence was not mine;
My joys—my griefs—my passions—and my powers,
Made me a stranger;

Das dürfte aber eher die Ausnahme sein.  Wenn aber jemand, dessen Muttersprache nicht Italienisch ist,  behauptet, er könne die sprachliche Qualität eines Textes aus dem Florenz des 13. Jahrhunderts beurteilen, dann müsste er das schon plausibel begründen. Übersetzungen sind immer Nachdichtungen. Sie können unter Umständen besser sein als das Original, den Verdacht hat der Autor bezüglich des  Ullyses  von James Joyce in der Übersetzung von Hans Wollschläger.  Man kann also auch die Divina Commedia  nachdichten und an den wenigen Stellen, wo ein empirisches Substrat  (siehe unten) vorhanden ist, gelingt dies auch.  Die Behauptung jedoch, dass eine Beurteilung hinsichtlich der Wirkmächtigkeit der Sprache möglich ist, würde der Autor als glatten Unfug bezeichnen.  Der Kommentar wird zeigen, dass erhebliche Probleme bestehen, den Text überhaupt inhaltlich zu verstehen,  teilweise finden sich die Wörter nicht mal in spezialisierten etymologischen Wörterbüchern. Wer dann noch behauptet, er kennt zu diesen Wörtern das gesamte semantische Feld im Toskanisch des 13. Jahrhundert, der wird das wohl plausibel erklären müssen.

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6 )Dunkelsprech
 

Wie bereits erwähnt, hat der Autor 2000 DIN A4 Seiten gebraucht,  um die Divina Commedia zu kommentieren.  Das lässt aber kaum einen Rückschluss auf den Gehalt der Divina Commedia zu.  Die Zusammenhänge, die aufzuschlüsseln waren,  sind höchst trivialer Natur, wie überhaupt die gesamte Divina Commedia ein höchst triviales Werk ist.  Sie suggeriert durch den Dunkelsprech Tiefsinn, wo eigentlich phänomenaler  Flachsinn herrscht.  Reinigt man sie von ihrem Dunkelsprech, dann bleibt nicht viel übrig. Der Dunkelsprech  beruht im Wesentlichen auf drei Techniken. Wir deuten das hier nur an.  Es reicht, sich  irgendeinen Kommentar zu den 100 Terzinen durchzulesen, um Beispiele für Dunkelsprech zu finden.

Das Prinzip Osterei:  Die häufigste Ausprägung von Dunkelsprech  ist das Prinzip Osterei.  Das Prinzip Osterei funktioniert im Grunde wie ein Kreuzworträtsel, wobei man das Prinzip Osterei wiederum  unterteilen kann.  Genannt werden also, wie beim Kreuzworträtsel, Ereignisse, die mit der referenzierten Figur (aus der Geschichte oder der griechisch / römischen Mythologie) in Verbindung stehen. Aufgrund dieser Ereignisse muss dann die Figur erraten werden.  Praktisch alle Figuren, so um die 2000, werden nach dem Prinzip Osterei vorgestellt.  Interessant an diesem Verfahren ist nur, dass mit dem Prinzip Osterei schon eine Auswahl getroffen wird, wer in der Divina Commedia überhaupt auftaucht. Da man nur mit bekannten Figuren der Geschichte Ereignisse verbindet , können auch nur bekannte Figuren auftauchen, überwiegend also Kleriker, Adelige und einige wenige reiche Bürgerliche.
Schiefe Vergleiche / Bilder / Metaphern:  In der Divina Commedia gibt es eine Unmenge an Vergleichen / Bildern und Metaphern, die in etwa so gehen:

So wie aus der Karotte, die im Mixer
dreht, ein Getränk entsteht,
das wir gerne füllen in ein Glas

so ward mein Ohr das Glas, das
aufnahm jenen Saft, als mein
Mund ward zum Mixer für Beatrice
Das heißt die Vergleiche / Bilder / Metaphern sind so hirnrissig und an den Haaren herbeigezogen, dass der Text extrem schwer lesbar wird.

Andeutungen:  Die  Divina Commedia besteht im Grunde nur aus Andeutungen auf philosophisch / theologische Systeme, kaum ein Gedanke wird in der Divina Commedia tatsächlich vollständig entwickelt. Schon diese „Technik“ verbietet es, zu unterstellen, dass Dante ein Dichter ist. Dichter wäre er, wenn er entweder ein System suggestiv vortragen würde, wie das etwa Goethe in dem Gedicht die „Metamorphose der Pflanzen“ oder Schiller in dem Gedicht „der Spaziergang“ tut. Eine Andeutung nach dem Motto,  „finde mal raus,  wo das steht“ ist kaum eine dichterische Leistung.  Offensichtlich sehen das, außer den verbeamteten Geistlichen, alle so, denn liest man sich die Kommentare von Lesern durch, Rezensionen von Lesern, Forenbeiträge, Gespräche wird man feststellen, dass immer dieselben Stellen genannt werden. Zum einen der Anfang („Auf halbem Wege unseres Erdenlebens…“),  der Beginn des zweiten Gesanges („Der Tag entwich, die Dämmerung brach ein…“) und die Geschichte mit Paolo und Francesco.  Das Bild, das dieses Liebespaar als zwei  Fäden zeigt, die von den Winden durch den Limbo getrieben werden, ist tatsächlich suggestiv, ihre Leidenschaften trieben sie aus dem hinaus, was, nach Auffassung Dantes, vernünftig gewesen wäre. Suggestiv ist auch noch die Konzeption der Vorhölle, da landen die, die so leidenschaftslos waren, dass sie weder gut noch böse waren. Man wird noch zwei, drei gelungene Stellen mehr finden, aber ansonsten herrscht in der  Divina Commedia  soviel Poesie wie im Einkommensteuergesetz. Auffallend ist, dass sich all diese Stellen im Inferno finden. Je weiter er nach oben steigt, desto dünner wird es, was mit konzeptionellen Mängeln des Werkes zu tun hat. Wer behauptet, dass es sich bei der Divina Commedia um Dichtung handelt, der möge das an konkreten Versen zeigen, glaubhaft machen,  welche Verse ihm etwas bedeuten und warum.  Der Nachweis, dass es sich bei der Divina Commedia ganz überwiegend um dunkle Andeutungen ohne subjektive Verarbeitung handelt, gelingt sehr, sehr leicht. Es genügt ein kurzer Blick in den Kommentar.
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7) Konzeptionelle Mängel
  Die konzeptionellen Mängel in Kurzform darzustellen ist schwierig. Es ist anhand konkreter Beispiele zu zeigen, was mit Dichtung geht und was eben nicht geht. Darstellbar ist das nur anhand konkreter Verse. Von daher wird auch hier wieder auf den Kommentar verwiesen.  Dante versucht etwas,  was nicht gelingen kann.  Dichtung kann sich nur aus einem empirischen Substrat speisen, ihre Leistung besteht darin,  in einen Bereich vorzudringen, der sich der Sprache entzieht, sie beschreibt Erfahrungen, für die es noch keine Sprache gibt oder nicht mehr gibt. Sie schöpft aus einem empirischen Substrat und lädt die Sprache mit diesem empirischen Substrat auf.  Dadurch, dass  sie das Erleben sprachlich fasst, steht das Erfasste dem Subjekt nicht mehr stumm gegenüber, die entfremdete Welt wird zur Heimat. Dichtung ist damit aber mit dem Diesseits verheiratet. Aus diesem schöpft sie und in dieses entlädt sie sich.  Dante dichtet aber über das Jenseits, allein im Inferno kann er noch aus einem empirischen Substrat schöpfen; von daher sind im Inferno auch noch einige überzeugende Stellen zu finden. Im Läuterungsberg  wird es schlimm und im Paradies grauenhaft. Vom Jenseits haben wir keine Ahnung, wir können darüber in abstrakten Begriffen philosophieren,  Abstraktes lässt sich nur, wenn überhaupt, abstrakt fassen, aber eine dem Jenseits entsprechende Sprache gibt es nicht.  Dichtet man über das Jenseits,  dann lädt man die Sprache nicht mit empirischem Substrat, sondern man entleert sie von diesem.  Die Sprache kommt aus dem Diesseits , ihr empirisches Substrat kommt aus dem Diesseits.  Transponiert man sie ins Jenseits, dann kann das nur gelingen, wenn man sie von diesem empirischen Substrat löst.  Dann hat sie aber gar keines mehr, übrig bleiben nur noch Wörter, die völlig sinnfrei sind.  Die  Sache ist relativ einfach.  Über die erste große Liebe kann jeder etwas sagen.  Über die Empfindungen, die man hat, wenn auf einem entfernten Planeten von einer anderen Sonne als der unseren bestrahlt wird, kann niemand etwas sagen. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann versuchen Sie es.  Schreiben Sie ein Gedicht über die Gefühle, die sie hatten, als sie auf einem 1000 Lichtjahre entfernten Planeten von einer unbekannten Sonne bestrahlt wurden.  Glauben Sie es mir einfach. Es gibt keine Dichtung ohne empirisches Substrat. Aus dem Jenseits weht uns nur Leere entgegen. Die Verquastheit der Sprache in der Divina Commedia ist in ihren konzeptionellen Mängeln begründet.  Beatrice ist der Versuch, das Jenseits zu erotisieren, etwas vom Diesseits ins Jenseits zu bringen und es zu beleben.  Der Versuch war nett, das Ergebnis lächerlich.
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8) Abwesenheit eines Subjektes
 

Auch hier muss wieder auf den Kommentar verwiesen werden.  Was gemeint ist lässt sich präzise nur an konkreten Beispielen zeigen.  Dichtung ist durch die vehemente Anwesenheit eines Subjekts charakterisiert, das nichts Fremdes duldet.  Keine Wörter, die nicht mit einem empirischen Substrat geladen sind, nichts, was dem Subjekt bedeutungslos gegenübersteht.  Indem Dichtung der Welt eine Bedeutung gibt, zieht sie die Welt in das Subjekt hinein.  Eine Welt, die eine Bedeutung hat, kann auch schlimm sein, aber eine völlig bedeutungslose Welt ist das Allerschlimmste.  Dichtung transzendiert die Welt, indem ein Subjekt ihr eine Bedeutung zuweist.  Dichtung ist auch nicht kontingent.  Wird sie interindividuell verstanden, im Extremfall über Jahrhunderte hinweg, dann ist sie ganz offensichtlich wahr.  Genau das haben wir aber bei Dante nicht.  Er trägt keinen subjektiven Klang in die Welt, sondern er zwängt die Welt in das Prokrustes Bett einer Ideologie.  In der Divina Commedia wird nicht die Welt ins Subjekt zurückgeholt, sondern das Subjekt löst sich auf in einem System.  Die verbeamteten Geistlichen (Sie finden im Kommentar Beispiele, die Dante als Dichter bezeichnen,  ihn als großen Lyriker  bezeichnen) tun der Menschheit leider nicht kund, wo der Text sie anrührt.

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9) Goethes Faust und die Divina Commedia
 

Die Divina Commedia selbst wäre zu schwach und unbedeutend um mit Faust verglichen zu werden, sie zerbröselt unter der Analyse wie trockenes Brot im Mörser.  Übrig bleibt ein Konvolut  aus mittelalterlicher Astronomie,  kurios vorgetragenen  geschichtlichen Zusammenhängen, viel Scholastik , die  gnadenlos durch Terzinen als formalem  Kitt zu einem Brei verrührt wurden.  Wir wollen aber nochmal betonen, haben es schon öfter gesagt: zwischen der Divina Commedia und Goethes Faust liegen nicht die Alpen, sondern 550 Jahre Menschheitsgeschichte.  Das Weltbild der Divina Commedia ist dem Weltbild, das in Goethes Faust entworfen wird, diametral entgegengesetzt.  Das Weltbild der Divina Commedia - nehmen wir die Divina Commedia mal als Vertreter einer Klasse, ist auf verschiedenen Ebenen ein Problem hat:  im Alltag, philosophisch und gesellschaftspolitisch -  ist ein extremes Beispiel einer statischen Weltsicht.  (Haben wir es schon gesagt? Für eine detaillierte, an Beispielen konkretisierte Erläuterung verweisen wir auf den Kommentar.).   Der utopische Horizont, wenn man von einem solchen überhaupt sprechen kann, denn das im Paradies zu findende Glück ist tief und unauffindbar in der  Terminologie der Scholastik ( gewürzt mit ein bisschen Dante) vergraben, ist statisch.  Im Jenseits herrscht (ganz im Gegensatz zum Diesseits, da herrscht Chaos) die ewige Ordnung , die präzise und detailliert beschrieben wird. Genau dieser vollkommene Stillstand ist das allerhöchste Glück, wobei die Beschreibung dieses Glücks, wie Dante selbst erwähnt, nicht beschrieben werden kann (siehe oben: konzeptionelle Mängel).  Das Diesseits,  das uns  lediglich als ein einzig großes Jammertal vorgestellt wird, hat nur einen einzigen  Zweck, die Ausrichtung  nach dem  Jenseits.  Wir haben also den ganzen christlich / katholischen Hokuspokus in Reinkultur. Das Diesseits erhält seine Bedeutung nur aus dem Jenseits. Das Diesseits interessiert nur insofern, als es die Verortung  im Jenseits determiniert.  Die Abwesenheit eines Subjekts, die totale Unfähigkeit gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge systematisch zu bewerten ist mehr als nur bloßes Unvermögen, es ist Ausdruck eines Weltbildes. Wenn das Subjekt nur unter dem Blickwinkel  der ewigen, feststehenden Ordnung  betrachtet wird, es lediglich darum geht, seinen Platz in dieser Ordnung zu bestimmen,  dann haben wir im Grunde kein Subjekt mehr.  Der Ratzinger, Joseph wäre erstaunt, aber das Christentum ist ideologisch eine totalitäre Ideologie.  Totalitäre Staaten interessieren sich nicht für das Subjekt. Sie interessieren sich für die Funktionalität innerhalb eines Systemgefüges.  Man kann zweifeln, ob die ideologische Unterstützung,  die die katholische Kirche Diktaturen immer wieder geleistet hat, tatsächlich Zufall ist.  Wir haben wohl eher eine Affinität  bezüglich des Temperamentes.  Solange eine rational gestimmte Zivilgesellschaft sie zügelt, ist sie unproblematisch.  Sie ist dann lediglich Folklore.  Das Unvermögen Dantes, komplexe Charaktere zu zeichnen, ist mehr als nur Ausdruck dichterischer Impotenz.  Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass dem Subjekt und dessen Individualität überhaupt eine Bedeutung zukommt.  Auch wenn er hierin ein Kind des Mittelalters war und ihm die literarischen Techniken zur Zeichnung von Individuen nicht zur Verfügung standen, ändert das nichts an der Grundaussage. Sie standen ihm nicht zur Verfügung, weil aufgrund ideologischer Verblendung 1000 Jahre lang niemand davon ausging, dass man solche Techniken brauche. Seine Unfähigkeit ist dann lediglich überindividuell, ein Zeichen der Zeit. Abenteuerlich sind natürlich jetzt die Aussagen verbeamteter Geistlicher, denn diese müssten es besser wissen. Wenn behauptet wird, dass Dante differenzierte, komplexe Persönlichkeiten geschaffen habe bzw. historische Persönlichkeiten differenziert dargestellt habe, dann müsste dies anhand von konkreten Beispielen belegt werden (siehe oben: völlig losgelöst).  Gleiches gilt für seine „gesellschaftspolitischen Vorstellungen“ (wir setzen das mal in Anführungsstriche, weil man so ein obskures Geblubbere kaum als  gesellschaftspolitische Vorstellung bezeichnen kann).  Das Diesseits interessiert Dante schlicht gar nicht.  Ob man Dante jetzt ernst nimmt oder nicht, ist zweitrangig. Fest steht, er ist ein Typus.  Und dieser Typus  ist ein Problem und die Divina Commedia und die Anzahl der Leute, die sich als ERWACHSENE ernsthaft mit ihm befassen sind offensichtlich Legion, denn jedes Jahr entstehen neue „Erträge der Forschung“ zum Thema Dante.  Damit wird Dante zum Seismographen einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung. Er zeigt dadurch, dass sich so viele Leute mit ihm befassen, was in den Köpfen mancher Leute vorgeht. Wenn verbeamtete Geistliche allen Ernstes  behaupten, dass ein Werk, das Individuen zu Telefonbucheinträgen reduziert Dichtung ist, dann kann man sich die Frage stellen, ob diese Leute in der Lage sein werden, Leute auszubilden, die wiederum andere Leute für Literatur begeistern.
 Kommen wir zu  Goethes Faust.  Der Anfang ist bekanntlich ähnlich. Es gibt eine universale Ordnung, die von Anbeginn bis in alle Unendlichkeit schaltet und waltet.

Die Sonne tönt in alter Weise
In Brudersphären Wettgesang
Und ihre vorgeschriebene Reise
Vollendet sie mit Donnergang!
Die letzten Geheimnisse des Universum werden sich dem menschlichen Geist auch nicht erschließen.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke, wenn keiner sie ergründen mag;
Die unbegreiflich hohen Werke sind herrlich wie am ersten Tag.
Das hat noch was von Scholastik. Es gibt eine Grenze, die der Mensch nicht überschreiten kann.  Damit sind dann aber alle Gemeinsamkeiten beschrieben. Ab jetzt beginnt das radikale Gegenprogramm.  Bei Dante ist der utopische Horizont  das in unverrückbarer Ordnung kreisende Jenseits und der Sinn des Diesseits  besteht lediglich darin, in dieses einzumünden und seine Erfüllung zu finden. Goethes Gott will vor allem, dass dieser utopische Horizont ständig neu aufgerissen und  verbreitert  wird. 

Gott: Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen.
Faust und seine Suche wird also von Gott bestätigt,  darum geht die Wette.  Es geht nicht um Gut und Böse, Mephistopheles ist auch nicht „böse“, er hat lediglich eine ganze Menge Mutterwitz, ist realistischer als Faust, es geht um die Frage, ob Mephistopheles  Faust brechen kann, ihn dazu bringt,  einen gegebenen Horizont zu akzeptieren.  Mephistopheles hat mit dem christlichen Teufel überhaupt nichts gemeinsam.  Die Frage gut oder böse wird im Faust nur peripher,  durch die Gretchentragödie angeschnitten.  Es geht um die Frage, ob Faust jemals kapitulieren, einen gegebenen utopischen Horizont und eine gegebene Grenze akzeptieren wird.

Faust:  Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen-
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet ich!
Während also bei Dante sowohl das Diesseits wie auch das Jenseits als utopischer Horizont statisch und unveränderlich gedacht wird, ist bei Goethe sowohl das Diesseits wie auch der utopische Horizont dynamisch. Sind bei Dante beide bis in alle Unendlichkeit statisch, sind sie bei Goethe bis in alle Unendlichkeit dynamisch. Weht bei Dante alle Utopie aus dem Jenseits, das als himmlisch / göttliches Megaloch zu denken ist (siehe oben: konzeptionelle Mängel), so wird bei Goethe das Diesseits zur Heimat umgestaltet, ins Jenseits erweitert. Ist bei Dante systembedingt der utopische Horizont höchst abstrakt, ist er bei Goethe höchst konkret. Dante ist vielleicht näher an der Psyche des Menschen, an die Unverrückbarkeit der Verhältnisse zu glauben scheint für Menschen typischer als an die Möglichkeit zu glauben und den utopischen Horizont aufzureißen. Aber Goethe ist dichter an der Realität und auf diese kommt es letztlich an. Das einzelne Individuum mag unfähig sein, den utopischen Horizont aufzureißen, aber die technische und gesellschaftliche Entwicklung reißt ihn auf, hält alles im Fluss. Der technische und gesellschaftliche Fortschritt erweitert dann auch die Handlungsoptionen des einzelnen Individuums, was den utopischen Horizont dann wiederum ein weiteres Stück aufreißt. Denkt Dante das Subjekt als unveränderlich oder, um es genauer zu sagen, interessiert es ihn schlicht gar nicht, so denkt Goethe das Subjekt als veränderlich. Er denkt die komplexe Dynamik zwischen Individuum und Gesellschaft.  Soweit hätte auch Dante kommen können, denn dieser Ausspruch ist seit dem 8. Jahrhundert dokumentiert:

Tempora mutantur et nos mutamur in illis.
Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns mit den Zeiten.

Genau so faustisch ist natürlich die umgekehrte Version.

Wir ändern uns und damit ändern wir die Zeiten.

Gleichermaßen gravierend sind dann auch die Unterschiede im künstlerischen Niveau. Teilweise ergeben  sich diese aus der Konzeption. Dante sitzt unter einem Olivenbaum in der Toskana und stellt sich vor, wie es wäre, wenn er zusammen mit seiner zur Theologie mutierten Jugendliebe Beatrice  die Himmelsrose betrachten würde. Das kann, das sieht der gesunde Menschenverstand unmittelbar ein, nicht gut gehen. Der Autor hat nicht mitgezählt, aber er schätzt, dass Dante so in etwa dreißig mal behauptet, dass mit sprachlichen Mitteln von der Herrlichkeit des Jenseits nicht berichtet werden kann. Das dürfte eine Verdrehung der Tatsachen sein. An der Sprache mangelt es ihm zwar auch, aber er ist noch gar nicht an dem Punkt, wo die Grenzen der Sprache spürbar sind. Bei ihm ist es schlicht so, dass er Zeuge eines Ereignisses sein will, bei dem er nicht dabei war. Man sieht die heilige Dreifaltigkeit von der Toskana aus nicht und man kann folglich auch nicht über die Empfindungen berichten, die der Anblick derselben hervorrufen. Der Versuch, die Glücksgefühle unter Zuhilfenahme abstrakter Symbole wie Lichtstärke, Glut, Geschwindigkeit der Bewegung zu beschreiben, vermittelt den Eindruck, dass im Jenseits nur nicht humanoide Lebensformen zu finden sind. Die oft zu findende Aussage, dass Dante das System der Scholastik poetisch wirksam dargestellt hätte, ist Mumpitz, weil dies logisch betrachtet unmöglich ist. Goethe stellt gar kein System dar, er schöpft aus einer inneren Verarbeitung der Welt, was möglich ist, denn er schöpft aus dem Diesseits.

Und das wiederum ist es, was auch der Autor dieser Zeilen nun tun wird. Sich mit dem Diesseits beschäftigen.

 
   
Andrés Ehmann | Stephanstraße 11 | D-10559 Berlin