Die Herrlichkeit des Schöpfers, der das Ganze
Bewegt, die Glorie, die das All durchdringt,
Strahlt hier in stärkerm, dort in schwächerm Glanze.


hm. Das irgendwas von irgendetwas anderem stärker angestrahlt wird als etwas anderes, ist durchaus vorstellbar, liegt man zum Beispiel in der Sonne, kriegt man mehr UV-Strahlung ab, als unter einem Sonnenschirm. Aber was will uns Dante damit sagen ?

Dort war ich, wo das meiste Licht entspringt:
Im Himmel! Schaute Dinge, die zu sagen
menschlicher Kraft und Zunge nicht gelingt.

Das geht im italienischen Original ein bisschen anders:

Nel ciel che più de la sua luce prende
fu' io, e vidi cose che ridire
né sa né può chi di là sù discende;

Im Himmel war ich, der am meisten Licht empfängt
war ich, und sah Dinge, die zu erzählen
weder in der Lage noch die Kraft hat zu erzählen, wer von dort zurück


hm. Man kann damit leben, dass ein Dichter ankündigt, eventuell zu scheitern. Die Beispiele sind zahlreich, Eugen Onegin von Puschkin fängt ja auch so an.

Nicht auf die Gunst gestrenger Kenner,
Auf warmen Anteil nur bedacht,
Sei dir allein, als treuem Gönner,
Dies Pfand der Freundschaft dargebracht.
Dir, dessen Geist seit Jugendtagen,
Von heil'ger Phantasie belebt
Und von der Dichtkunst Hauch getragen,
In lautrem Ernst zur Höhe strebt.
Wohlan denn, laß ihn dir behagen,
Den anspruchslosen, bunten Strauß
Von oft so trüb', oft heitren Klängen,
Volksweisen, Idealgesängen,
Wie meinem Hirn sie wirr und kraus
Bei flücht'gem Musenspiel entsprossen:
Aus Träumen ferner Jugendzeit,
Dem Unmut bittrer Lebensglossen
Und meines Herzens tiefstem Leid!

Auch Puschkin sieht also die Gefahr, dass ein gestrenger Kenner sein Werk negativ beurteilt. Beschreibt auch die Entstehung von Lyrik als Versuch, kaum Fassbares in Worte zu fassen, eine komplexe seelische Dynamik (gespeist aus Träumen, Hoffnungen, Ernst, Enttäuschungen, flüchtigen Reminiszenzen) irgendwie in Worte zu gießen. Das Problem können wir nachvollziehen, denn wir verstehen Dichtung, weil wir mit dieser Dynamik im Grunde vertraut sind, die allerwenigsten aber über die Begabung verfügen, diese zu beschreiben. Puschkin schreibt aber nicht über eine terra incognita. Dante dagegen berichtet nicht nur aus einer terra incognita, sondern kündigt uns sogar noch an, dass er zum Zeitpunkt des Schreibens auch selber nur noch vage Erinnerungen an diese haben wird, kündigt uns an, dass er kaum in der Lage sein wird, zu beschreiben, was er dort erlebt hat. Wir glauben ihm also, wenn er sagt, dass er nicht in der Lage sein wird, zu beschreiben, was er dort gesehen. Denn seine Dichtung kreist nicht um das Sprachlose, das tut Dichtung immer, sie kreist um das Nichts.

Denn, dicht an seiner Sehnsucht Ziel getragen,
Sinkt unser Geist so tief: den Rückweg weiß
Erinnerung nicht wieder einzuschlagen.


Im Original:

perché appressando sé al suo disire,
nostro intelletto si profonda tanto,
che dietro la memoria non può ire.

weil wenn unser Intellekt sich nähert
seinem Sehnen, er sich so vertieft
dass das Gedächtnis nicht vermag zu folgen


Diese Aussage verstehen wir natürlich auch nicht. Es wird davon ausgegangen, dass der Intellekt sich nach irgendetwas sehnt, das ist wahrscheinlich das Himmlische, das behauptet zumindest Beatrice im 31. Gesang des Purgatorio.

„Die Sehnsucht, die dein Herz nach mir getragen,“
Sprach sie, „die jenes Gut dich zu erringen
Gelehrt, wie man kein bessres kann erjagen,

Purgatorio, 31. Gesang

Die kleine Unstimmigkeit zwischen Intellekt und Sehnsucht beiseite lassend (der Intellekt sehnt sich ja eigentlich nach gar nichts, der analysiert lediglich, was immer ihm vor die Flinte kommt), haben wir auch noch ein Problem mit der Aussage, dass, wenn der Intellekt das erreicht, nach dem er sich sehnt, das Gedächtnis aussetzt. Irgendwie richtig ist wohl, dass hinter dem Intellekt eine emotionale Gesamtverfassung steht; für alles interessiert er sich nicht. Wenn er sich aber für etwas interessiert, dann ist das Gedächtnis höchst aktiv. An Ereignisse, die uns interessieren, erinnern wir uns, an die anderen nicht.

Doch was zu sammeln nur vermocht mein Fleiß
An Schätzen aus dem heilgen Reich – das gebe
Als Stoff dem Liede mein Gedächtnis preis.


Also er führt jetzt zwei Argumente an, warum er von dem Reich, in dem er war, nichts berichten kann: Erstens, weil die Erinnerungen daran wieder gelöscht sind, wenn man herabgestiegen ist und zweitens, weil das Gedächtnis sowieso nachlässt, wenn der Intellekt seinem Ziel nahe ist - um uns dann mitzuteilen, dass er von dem, an das er sich erinnern kann, jetzt berichten wird. Ein ganz schlichter Satz hätte die Situation deutlich treffender beschrieben: So genau kann ich mich nicht erinnern, aber das, woran ich mich erinnere, schreibe ich auf.

Und wo ich mich zum letzten Gang erhebe,
Gütger Apoll, gieß deine Kraft mir ein,
Dass dein geliebter Lorbeer mich umwebe.

Bis hierher mochte mir genügend sein
Ein Joch vom Berg Parnass! Jetzt brauch ich beide,
Soll mir des Wettlaufs Schluss den Sieg verleihn.

Also erstmal die Mythologie. Apollon war unter anderem der Gott der Künste und der Chef der Musen. Er thronte auf einem der zwei Gipfel des Parnass, auf dem anderen hausten die Musen. Was wir bezweifeln ist, dass ihm bis jetzt die Musen allein genügt haben. Erstens haben wir nicht den Eindruck und zweitens hat er die schon so oft um Unterstützung gebeten, dass wir vermuten, dass die Biester einfach nicht erscheinen. Die Gründe hierfür haben wir bereits erläutert. Wenn aber die Musen sich beharrlich verweigern, dann ist anzunehmen, dass Apollon das erst recht tut.

Lass deinen Hauch mich fühlen, der dem Neide
Die Strafe gab, als du den Marsyas
Aus seiner Haut zogst wie aus einer Scheide.

Das Original:

Entra nel petto mio, e spira tue
sì come quando Marsia traesti
de la vagina de le membra sue.  


Dring in meine Brust und hauch mich an
Wie einst du hast Marsyas gezogen
Aus der Scheide seine Glieder


Die Geschichte geht so: Marsyas, ein Satyr, hatte das Flötenspiel erlernt und war der Meinung, dass er es besser könne als Apollon. Die beiden vereinbaren, dass sie sich dem Urteil der Musen beugen werden und derjenige, der gewinne, mit dem anderen machen könne, was er wolle. Die Musen stimmten, was ja klar ist, denn Apollon ist deren Chef, für diesen. Dieser bindet Marsyas an eine Fichte und häutet ihn, zieht also die Knochen aus der Haut wie man ein Schwert aus der Scheide zieht. Aber was will uns Dante damit sagen? Soll er den Atem des Apoll spüren und sich dabei fühlen wie jener Marsyas? Also wenn Dante hier an eine inspirierende SM Orgie dachte, dann ist das mit dem Häuten schon ganz schön abwegig. Einen an der Waffel hat der Apollon ja auch noch, er ist ja auch der Gott der Mäßigung, sein Verhalten ist aber eher ziemlich saumäßig, dirais je.

O Gotteskraft, sei mir geneigt und lass
Des selgen Reiches Umriss mir gelingen,
Wie mir‘ s im Geiste nachglänzt, wenn auch blass;

Dass ihm das Reich im Geiste lediglich blass glänzt, das glauben wir ihm. Es ist wohl die schwächste in der Literatur vorhandene Beschreibung der Inspiration. Dass der Gegenstand der Dichtung höchst flüchtig, nur knapp oberhalb der Schwelle des Bewusstseins liegt, dass nach etwas gegriffen wird, das verschwimmt, wenn man es zu packen sucht, das kennen wir, das beschreibt auch Goethe im Faust.

Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut

Über Inspiration und wo sie herkommt, wie sich das Flüchtige anderen in der Dichtung vermittelt, darüber könnte man wahrscheinlich Tausende von Seiten füllen. In den Zeilen oben werden einige Aspekte angesprochen. Dichtung erfasst oder versucht das Flüchtige, das, was nur knapp oberhalb der Schwelle des Bewusstsein liegt, zu erfassen. Ihr Thema ist der gesamte Mensch und dessen seelische Dynamik, beschreibt diese in Bildern, die sich der rationalen Analyse entziehen. Was man also von einem wissenschaftlichen Text erwartet, dass er nämlich von jedem anderen Hirn gleich aufgefasst wird, ist nicht gegeben. In ihr steckt viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit. Aber Dante hat noch nicht mal das Problem begriffen. Das emotionale / sinnliche / geistige Vakuum kann nur dann Gegenstand von Dichtung sein, wenn eben dieses als Mangel empfunden wird. Dieser Mangel kann Gegenstand von Dichtung sein, nicht aber das Vakuum selbst. Anders formuliert: Dante dichtet über ein himmlisches Loch. Da kann nur ein Wortgedrechsel bei rauskommen.

Zu deinem teuern Baum dann will ich dringen,
Geweiht von meinem Stoff, gestärkt von dir,
Und mir den Lorbeer um die Schläfe schlingen.


Das Original:

vedra'mi al piè del tuo diletto legno
venire, e coronarmi de le foglie
che la materia e tu mi farai degno.


Möge ich doch gelangen zum Stamm deines ersehnten Holzes
mich mit dessen Blättern schmücken
Durch den Stoff und deine Hilfe deren würdig


Soll heißen, dass er durch das Thema seines Werkes und die künstlerische Verarbeitung sich die Lorbeeren verdient.

Wenn heut, o Vater, sich mit dieser Zier
Poet und Kaiser selten sucht zu schmücken –
(O Schuld und Schmach gesunkner Ruhmbegier!)

So muss es wohl dich freuen und beglücken,
O heitre Gottheit Delphis, siehst du einen
Doch noch Peneisch Laub mit Eifer pflücken!


Das Original:

Sì rade volte, padre, se ne coglie
per triunfare o cesare o poeta,
colpa e vergogna de l'umane voglie,  

che parturir letizia in su la lieta
delfica deità dovria la fronda
peeia, quando alcun di sé asseta.


Sowohl der Kaiser wie der Dichter
pflückt ihn selten nur zu preisen,
Schuld und Schande ist des Menschen Streben

Es müsste doch die Freude wecken
Der glückliche delphische Gott auf der
Stirn der Daphne, wenn noch jemand spürt ein solch Verlangen

Das gibt dann in Prosa: Der Kaiser gibt keinen Anlass mehr, gepriesen zu werden und der Dichter hat keine Lust zu preisen, das ist schon ein Indiz dafür, dass die Welt ein Jammertal ist, wäre dem nämlich nicht so, dann müsste sich Apoll ja freuen, dass irgendjemand noch Erhabenes / Hübsches dichtet, und dieser strahlende Gott wiederum müsste dann auf der Stirn der Daphne leuchten. Mit peeia (Adjektiv) ist Daphne gemeint, die Tochter des Flussgottes Peneios und Gegenstand der Begierde des Apoll, von Liebe spricht man bei den griechischen Göttern ja lieber nicht, von tieferen seelischen Erschütterungen, die mit letzterer einhergehen, ist ja nichts überliefert.

Ein Brand wird aus dem Funken oft, dem kleinen:
So wird vielleicht in Cyrrhas feuchten Gründen
Nach mir ein Bessrer um Bescheid erscheinen!

Im Original:

Poca favilla gran fiamma seconda:
forse di retro a me con miglior voci
si pregherà perché Cirra risponda.  


Auf den kleinen Funken folgt die Flamme
Wie mir vielleicht folgen einer mit besserer Stimme
Wenn er Cirrha bittet und es antwortet


Der kleine Funke ist natürlich Dante selber. Da kokettiert er natürlich, denn im Grunde hält er sich natürlich für den größten aller Dichter; nach ihm, da ist er sich sicher, kommt gar nix mehr. Cirrha ist das Joch, also der Gebirgskamm des Parnass; die Flamme, die auf den kleinen Funken folgt, bittet also Apoll, die Musen oder wen auch immer.

Dem Sterblichen steigt aus verschiednen Schlünden
Des Weltalls Leuchte auf, doch wo vier Kreise
In dreier Kreuze Durchschnittspunkt sich ründen,

Fängt sie mit besserm Sterne an die Reise
Und bildet – wie aus weichem Wachse grabend -
Der Erde Form und Schmuck auf reichre Weise.


Sie verstehen jetzt nur Bahnhof und auf Ostereiersuche haben Sie auch keine Lust mehr? Was sind Sie denn für ein Weichei? Italienische Schüler machen das drei Jahre in der Schule, ein Jahr Hölle, ein Jahr Läuterungsberg, ein Jahr Paradies und Sie schwächeln jetzt schon. Reißen Sie sich gefälligst mal an den Riemen ,ja, das Leben ist schließlich kein Spaziergang. Sie wissen auch schon gar nicht mehr, ob Sie überhaupt ins Paradies wollen? Werden Sie mal nicht frech, ja, sonst landen Sie noch in der Hölle, bei den Trägen.

Schauen wir uns mal das italienische Original an.

Surge ai mortali per diverse foci
La lucerna del mondo; ma da quella
che quattro cerchi giugne con tre croci,  

con miglior corso e con migliore
stella esce congiunta, e la mondana cera
più a suo modo tempera e suggella

An vielen Punkten am Horizont, erscheint den Sterblichen
das Licht der Welt; aber da
wo vier Kreise sich verbinden mit drei Kreuzen

haben wir die beste Bahn und mit den besten Sternen
sie sich dann verbindet, dann wird das irdische Wachs
am reinsten nach ihrer Art gestaltet und geformt

Die Sonne erscheint also immer an anderen Stellen am Horizont, das verstehen wir noch, so weit so gut. Jetzt gibt es noch einen Punkt, wo sie in einem günstigen Tierkreiszeichen erscheint. Ist das der Fall, dann, dann ist der Lebenslauf dessen, der unter dieser Konstellation geboren wurde, ganz gottgefällig / günstig oder irgendwas. So weit, so gut. Bleiben nur noch die vier Kreise mit den drei Kreuzen. Doch Sie wissen bereits, dass die Lyrik Dantes um himmlisches Vakuum kreist, erwarten Sie also nicht zu viel.

Dass man über das Vakuum nichts berichten kann, hat übrigens schon der persische Dichter Khayyam, über 200 Jahre vor Dante, (geb. 1048, gestorben 1122), festgestellt.

Das Rätsel dieser Welt
Kennst weder du noch ich
Diese geheime Schrift
Liest weder du noch ich
Wir wüssten beide gern
Was dieser Schleier birgt
Doch wenn der Schleier fällt
Bist weder du, noch ich

Da können Sie mal sehen: also was das Hochmittelalter angeht, haben wir ein klares 3:0 für Persien. Inzwischen haben wir zwar aufgeholt, wir sind ja lernfähig und haben in ideologischer Verblendung die Welt schon ein paar Mal in Schutt und Asche gelegt, wobei die ideologische Verblendung wohl alleine nicht reicht, aber der Humus ist, auf dem die Barbarei gedeiht. Im Mittelalter aber lassen uns die persischen Jungs voll alt aussehen. Verglichen mit Khayyam ist Dante ein ziemlicher Armleuchter.

www.parshiraz.com

Der hat auch echt Humor, der Khayyam

Was quälst Du Dich um Schuld, die längst geschah?
Ist Gnade doch nur für die Schuld'gen da.
Drum, wer sich rühmt, daß er vom Tugendpfade
Sich nie verirrt, der findet keine Gnade.

Der scheint auch irgendwie das Dante Gegenprogramm zu sein.

Man behauptet, daß eine Hölle sei
Und kommt zu mir und droht damit.
Ich halte die Hölle für Narrethei.
Drum hab' ich keine Noth damit.
Denn gäb' es wirklich ein solch Verließ
Für der verliebten Trinker Heer,
So wäre morgen das Paradies
Wie meine hohle Hand so leer.

Khayyam gelingt im Übrigen das, was Dante nicht gelingt. Er kann theologisch / abstrakte Aussagen in eine lyrische Form gießen, die tatsächlich die komplexe seelische Dynamik mit erfasst. Während bei Dante alle Sicherungen durchbrennen, bewahrt sich Khayyam noch einen gesunden common sense.

Von den Dogmen glaub nur solche, die den Geist zu Gott erheben.
Von dem Brote, das Du hast, wirst Du gern auch Andern geben.
Sprich nichts Böses, thu nur Gutes, suche keines Menschen Pein,
Und Du wirst das ewige Leben haben, sag' ich Dir. Nun bring mir Wein!

Also im mittelalterlichen Endspiel Italien gegen Persien steht es 5:0 für Persien. Bei Dante geben sich zwei Beamte im öffentlichen Dienst ein Stelldichein, die dichten so, wie Lieschen Müller vom Amt wohl dichten würde, bei Khayyam Menschen.

Der Lenz hat mir durch seine Rosen geboten
Etwas zu verüben, was im Koran verboten:
Ich soll Menschenrosen mit duftigen Locken
Durch Wein zu den Rosen im Garten locken.

Oder

Schlank wie die Cypresse seh ich Dich prangen,
Von gutem Geruch, zart wie Tulpen die Wangen,
Doch bleibt mir's ein Räthsel, warum in die Wildniß
Des Lebens der Schöpfer gezaubert dein Bildniß.

Der Autor ist sich übrigens nicht mal sicher, ob das harmlos ist, denn Leute ohne Individualität, die sich an leerem Wortgedrechsel berauschen, sind schlimmer als Typhus, Pest und Cholera.

Vom Vakuum aus lässt sich nämlich keine Überlegenheit ableiten. Aber zurück zu unserem heiligen Vakuum, das durch Wortdrechslereien kaschiert wird, zu den Kreisen und Kreuzen. Diese sind kaum deutbar. Eine These geht davon aus, dass die vier Kreise so zu interpretieren sind:

1. Kreis: zodiaco = Tierkreiszeichen
2. Kreis: equatore = Äquator
3.Kreis: coluro equinoziale = Gedachte Himmelskugel, auf der sich die Sterne bewegen (Aquinoktialkolur)
4.Kreis: orizzonte = Horizont

Also wer sich tatsächlich schneidet ist der Himmelsäquator und die Ekliptik, das sind schon mal zwei Kreise, graphisch dargestellt sieht das so aus.

Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Ekliptik

Um das zu verstehen, muss man jetzt mal etwas ausholen. Der Autor hat nicht mal den blassesten Schimmer von Astronomie (da hält er es mit Hegel, sinnlose Ausdehnung des Quantitativen ohne qualitativen Sprung, also völlig wertlos, gröööööööööööl), hat also ganz optimale Voraussetzungen, um Ihnen das zu erklären. Vorausgeschickt sei aber, dass nicht mal sicher ist, ob Dante das meinte oder ob er selber begriffen hat, was er da schreibt. Wenn Sie einen Wollknäuel nehmen und den mit einer Stricknadel durchbohren und ihn dann mit angewinkelter Stricknadel (egal wie, aber nicht senkrecht) um eine Lichtquelle drehen, werden Sie feststellen, dass einmal der obere Teil der Sonne das volle Licht abbekommt und einmal der untere, das heißt, dass sich nicht nur die Intensität der Strahlung verändert (weil der Einfallswinkel variiert), sondern auch die Dauer, in der die Sonne sichtbar wird. Diesen scheinbaren Verlauf der Sonne am Himmel beschreibt die Ekliptik. Der Himmeläquator wiederum beschreibt die Situation, die entstünde, wenn die Erdachse eben nicht geneigt wäre, also die „Erde“ mit senkrechter Stricknadel um die Sonne geführt werden würde. Dann wäre die Zeit, in der die Sonne am Himmel erscheint, immer gleich. Zweimal im Jahr, am 23.9 und am 21.3 schneiden sich aber die Ekliptik und der Himmelsäquator, der Tag und die Nacht sind dann gleich lang. Die Ekliptik und den Himmelsäquator können wir also noch verstehen, sie sind ein Hilfsmittel um sich klar zu machen, was der Unterschied ist zwischen einem Wollknäuel, der mit geneigter Stricknadel um eine Lichtquelle geführt wird und einer Situation, bei der der Wollknäuel mit nicht geneigter Stricknadel um die eine Lichtquelle geführt wird. Der Äquinoktialkolur ist der Kreis (oben nicht eingezeichnet), der die beiden Tagundnachgleichen und den Himmelsnordpol bzw. Himmelsüdpol miteinander verbindet. Wozu man ihn braucht, weiß der Autor zwar nicht, aber es gibt ihn. Brauchen könnte man ihn als Hilfsmittel, um sich den Solstitialkolur besser vorstellen zu können. Dieser verbindet den Himmelsnordpol und den Himmelsüdpol mit den beiden Sonnenwenden, also den Tagen, an denen die Sonne ihren höchsten Stand am Himmel erreicht. Wenn Sie diesen Kreis (Äquinoktialkolur ) oben fiktiv einfügen, können Sie, wenn Sie akzeptieren, dass, egal wie sich Linien schneiden, Sie immer ein Kreuz erhalten, drei Kreuze sehen. Dante fügt jetzt als vierten Kreis noch den Horizont dazu, dann ergeben sich aber mehr als vier Kreise. Wenn Sie ein Blatt Papier nehmen und da vier Linien mit einer gemeinsamen Schnittmenge hinpinseln, haben Sie mehr als drei Kreuze. Es fehlt uns jetzt noch die Geschichte mit „der besten Bahn“ und den „besten Sternen“. Im Frühlingspunkt (21.3) steht die Sonne im Tierkreis Widder. Das war das Weltbild, in dem die Sonne am Tag der Erschaffung der Welt stand, das muss also günstig sein. Da Dante die falschen Begriffe benutzt (Äquator anstatt Himmelsäquator) und den in diesem Zusammenhang bedeutungslosen Horizont erwähnt, kann nicht abgeschätzt werden, wie tief seine astronomischen Kenntnisse tatsächlich waren.

Solch Sonnenstand gab diesseits beinah Abend
Und jenseits Tag – hier dunkles Schwarz, dort brannte
Der Himmel, noch im Silberglanz sich labend

Im Original:

Fatto avea di là mane e di qua sera
tal foce, e quasi tutto era là bianco
quello emisperio, e l'altra parte nera,


Wie dort es Tag so war es hier
Nacht, ganz weiß war diese Hemisphäre,
die andere wiederum ganz schwarz


Das ist jetzt absolut raffiniert. Dass es auf der einen Seite der Welt Nacht ist, wenn es auf der anderen Seite Tag ist, das ist uns bekannt. Wir wüssten aber gerne, wo sich das Paradies eigentlich befindet. Mit dem „hier“ ist wohl das Paradies gemeint, dort ist es Nacht. Das „di là“ interpretieren italienische Kommentatoren mit „ nell'emisfero australe “, also der östlichen Hemisphäre, also östlich, das würde bedeuten, dass sich das Paradies irgendwo im Westen des Südpols befindet. Wo aber ist am Südpol Westen? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Paradies nicht nur emotional / sinnlich / geistig eine terra incognita ist, sondern überhaupt - dieses Reich scheint ganz definitiv nicht von dieser Welt zu sein. Was wir aber witzig finden, ist, dass Dante dann innerhalb des Paradieses, das nirgends verortet ist, ganz genaue Angaben macht. Beatrice hat so und so viele Schritte gemacht, der Wagen ist das Dreifache der Distanz, die ein Pfeil zurücklegen kann, gefahren etc. etc. Diese Details wären sinnvoll, wenn sie sich denn in das Große und Ganze einordnen ließen. Da fällt einem natürlich wieder Goethe ein.

Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.

Die Sache ist aber steigerungsfähig.

Als Beatrice sich zur Linken wandte
Und in die Sonne sah, fest, ungeblendet,
Wie nie ein Aar den Blick zur Sonne sandte!


Im Original:

quando Beatrice in sul sinistro fianco
vidi rivolta e riguardar nel sole:
Aquila sì non li s'affisse unquanco.

Ich sah wie Beatrice sich nach Links
Hin wandte, die Sonne schauend,
wie nie ein Adler sie schaute


Nun, links ist ganz unstreitig da, wo der Daumen rechts ist, aber wo ist der Daumen in diesem konkreten Zusammenhang? Will uns Dante damit irgendeinen Hinweis geben, wo sich das Paradies befindet? Beatrice schaut also nach links und sieht die untergehende Sonne, schaut also gen Westen, wenn sie sich nach links wendet. Aber abgesehen davon schreibt er ja oben, dass es Nacht ist im Paradies; nachts sieht man die Sonne gar nicht. Wir müssen also annehmen, dass die Sonne nur gerade im Begriff war, am Horizont zu verschwinden, es aber noch nicht richtig Nacht war. Das Problem ist dann aber, dass man in die untergehende Sonne sehr wohl blicken kann. Wenn er also im nun Folgenden hervorhebt, dass dies nur im Paradies möglich sei - in die Sonne zu schauen - dann war das die Illustration am ungeeigneten Objekt. Das mit dem Adler ist auch nicht so richtig klar. Es geht das Gerücht, dass der Adler direkt in die Sonne schauen kann, aber selbst dieser soll dazu nie so vollkommen in der Lage gewesen sein wie Beatrice. Wir fragen uns natürlich, woher Dante wusste, wie lange ein Adler in die Sonne schauen kann. Der Autor hat übrigens als Kind am Strand liegend solche Spiele natürlich auch betrieben. Man kann eine Öffnung bilden aus den zwei Zeigefingern und den Daumen und durch diese hindurch die Sonne anschauen, irgendwann mal nimmt man sie dann als zitternde Scheibe war. Das war wohl nicht gesund, aber man kann durchaus in die Sonne schauen.

Und wie so oft der erste Strahl entsendet,
Im Widerschein rückblitzend, einen zweiten -
Gleich einem Pilgrim, der sich heimwärts wendet –  

So ließ von ihrem meinen Blick ich leiten,
Dass ich gleich ihr, mehr als sonst üblich wäre,
Die Sonne aushielt, ohne abzugleiten.

Im Original:

E sì come secondo raggio suole
uscir del primo e risalire in suso,
pur come pelegrin che tornar vuole,  

così de l'atto suo, per li occhi infuso
ne l'imagine mia, il mio si fece,
e fissi li occhi al sole oltre nostr'uso.


Und wie ein zweiter Strahl sich spaltet
vom ersten um wieder nach oben dann zu steigen
ganz wie ein Pilger, der Heimkehr wünscht

so ließ ihr Handeln, das durch die Augen
meinen Geist ergriffen, die meinen Gleiches tun
empor zur Sonne glitten sie, nicht wie hier auf Erden

In Prosa. Beatrice schaut die Sonne an, was normalerweise ja nicht geht, im Paradies aber möglich ist. Das wiederum sieht Dante und ahmt sie nach, schaut also auch in die Sonne.

Probleme bereitet dann die erste Terzine, die mit „e sì come secondo raggio suole“. Da ist also ein Strahl, der sich von einem anderen Strahl abspaltet und dann nach oben schießt. Wir kennen ja Lichtbrechungen, wir kennen auch das Phänomen, dass man einen Lichtstrahl durch ein Prisma schießt und dieser sich dann aufspaltet, das Licht also gebrochen wird. Was wir nicht kennen, ist ein Lichtstrahl, der sich von einem anderen abspaltet und zur Lichtquelle zurückkehrt (…wie ein Pilger, der Heimkehr wünscht). Es ist also reichlich unklar, an was für einen Lichtstrahl Dante hier dachte. Was Rudolf Baehr allerdings dazu schreibt, in jener bereits öfters zitierten Reclam Ausgabe (La Divina Commedia, Stuttgart, 2001, Seite 412) ist dann schon grenzwertig:“ …so wie ein Lichtstrahl, der von oben kommt, vom Spiegel wieder nach oben zurückgeworfen wird.“ Das kann nur stimmen, wenn der Spiegel flach auf dem Boden liegt. Hängt er an der Wand, dann geht der Strahl in den Boden. Wer will, kann mal mit einer Taschenlampe einen Spiegel beleuchten.

Denn vieles ist erlaubt auf jener Sphäre
Was hier versagt ist, dank dem Himmelsort,
Bestimmt, dass einst sich dort der Mensch verkläre!


Also im irdischen Paradies, da ist Dante noch, das ist eine Vorstufe des Paradieses, sind viele Dinge möglich, die auf Erden nicht möglich sind, zum Beispiel direkt in die Sonne schauen. Das ist natürlich irgendwie symbolisch, die Sonne als Abglanz Gottes oder so.

Doch fuhr ich nur so lang im Schauen fort,
Als ich gleichwie von glühnden Schmiedeeisen
Sie Funken sah versprühen hier und dort;


Das wiederum ist durchaus irdisch, also ganz anders ist die Situation im irdischen Paradies dann doch nicht. Wer lange in die Sonne starrt, auch in der oben beschriebenen Art, der sieht dann tatsächlich auch eine Sonne in stockfinsterer Nacht.  

Und nun, als ob zwei Tage in den Gleisen
Sich kreuzten, schien durch des allmächtgen Hand
Noch eine zweite Sonne herzukreisen. 


Im Original:

e di sùbito parve giorno a giorno
essere aggiunto, come quei che puote
avesse il ciel d'un altro sole addorno.


und plötzlich erschien, als ob zu einem Tag
verschmolzen wären zwei Tage, wie dies im Himmel möglich
eine zweite Sonne gesellt zu dieser

Da dies ganz offensichtlich nur im Paradies möglich ist, können wir dazu auch nicht viel sagen. Es erscheinen also zwei Tage gleichzeitig und jeder hat seine eigene Sonne.

Starrblickend auf die ewgen Kreise stand
Die Herrin – doch von ihrem glutentfachten
Gesicht ward meins vom Himmel abgewandt


Im Original:

Beatrice tutta ne l'etterne rote
fissa con li occhi stava; e io in lei
le luci fissi, di là sù rimote  


Beatrice stand gebannt die Augen
Auf die ewigen Kreise und meine Augen
Waren ihr zugewendet, als ich sie von dort abgezogen


Das ist wahrscheinlich auch irgendwie tiefsinnig. Beatrice hält das göttliche Licht ewig aus, er bislang nur einen Abglanz davon, nämlich den in den Augen Beatrices.

Bis ihre Augen mir Verzückung brachten
Wie einst dem Glaukos, als er von den Kräutern
Genoss, die ihn zu einem Meergott machten. 

Glaukos war ein Fischer. Eines Tages warf er Fische ans Land und beobachtete, wie diese die Kräuter aßen, die dort wuchsen und anschließend dadurch wieder munter wurden. Daraufhin aß er selber von den Kräutern: der Effekt stellte sich auch bei ihm ein. Er sprang ins Wasser und wurde von Okeanos in einen Meeresgott verwandelt.

  O Übermenschlichsein! Den Seelendeutern
Fehlt Wort hier und Begriff! Doch wen‘ s erproben
Die Gnade lässt, verzichtet auf’s Erläutern!  

Also das wird immer doller mit dem Dante. Zuerst teilt er uns mit, dass er nach seiner Rückkehr auf die Erde uns vom Paradies nicht wird berichten können. Jetzt teilt er uns mit, dass er nicht mal Lust hat, dies zu tun. Später wird er uns mitteilen, dass es am Leser liegt, wenn er nicht folgen kann. Also wir würden mal sagen, der ist ein bisschen bluna, der Dante. Anders herum ausgedrückt, er weiß um die konzeptionellen Schwächen seines Werkes. Mal gibt er es zu, mal sagt er, er hat keine Lust und manchmal sagt er schlicht, der Leser ist zu dämlich. Irgendwo hat der Autor mal einen Artikel gelesen, der hatte den Titel „Wie vom Paradies schreiben“ und bezog sich auf Dante. Der Artikel war von irgendeinem Professorchen, also inhaltlich irrelevant, der Titel allerdings ist gut: Wie vom Paradies schreiben? Anzumerken ist jedoch, dass über das Paradies bereits geschrieben wurde, 1200 Seiten lang, von Ernst Bloch in „Das Prinzip Hoffnung“, einem der grandiosesten Werke der Philosophie, ein Paukenschlag sozusagen. Auch bei Bloch ist das Paradies eine terra incognita, ein unbekanntes Land. Wie es dort aber aussieht, blitzt schon hienieden immer wieder auf, im Tanz auf der Bastille, in Beethovens neunter Sinfonie, in der gemalten französischen Lässigkeit der Impressionisten, in Gedichten, politischen Strömungen, Theater. Die Realität kann mit der Utopie schwanger gehen, dann ist es ein Noch-Nicht, das sich konkret ankündigt, hinter dem Noch-Nicht leuchtet es aber weiter. Bei Bloch ist das Paradies also ein Noch-Nicht, eines, das man aber erarbeiten kann, bei Dante steht es dem Menschen weitgehend unvermittelt gegenüber. Dante gehört im Grunde zu den Typen, über die Heine schon treffend dichtete (Deutschland, Ein Wintermärchen, Caput 1).

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew'gen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.

Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder -
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!

Also über das Paradies lässt sich durchaus schreiben. Es mangelt nicht an Visionen vollkommenen Glücks, die ziehen sich durch die menschliche Kultur, wie der Geruch exotischer Früchte durch einen Obstmarkt in Südamerika. Es gibt aber ein paar Probleme mit der Konkretisierung derselben und diese wird durch die hypothetische Annahme erschwert, dass das summum bonum, das höchste Gut, wie Bloch es nennt, nicht vorstellbar ist und irgendwo ganz abstrakt, ganz da oben liegt.. Sich dieses vorzustellen ist nämlich nicht schwer, bei der konkreten Umsetzung gibt es ein paar Probleme. Dante hat eine merkwürdige Gewichtung der Probleme.

Ob ich im Leib, ob außerm Leib erhoben?
Du weißt es, heilge Liebe, die du lenkst
Die Welten und im Licht mich trugst nach oben!

Im Original:

S'i' era sol di me quel che creasti
novellamente, amor che 'l ciel governi,
tu 'l sai, che col tuo lume mi levasti.  

Ob ich nur das war was du neu erschaffen,
du, die Liebe die regiert im Himmel,
du weißt es, die du mich erhoben mit deinem Lichte


Zoozmann interpretiert also und wahrscheinlich richtig. Gemeint ist wohl die anima intellectiva, die Gott jedem Menschen zuletzt einhaucht, also nach der anima vegetativa und der anima sensitiva. Er fragt sich also, ob nur die anima intellectiva oder der ganze Körper ins Paradies gelangt ist.

Als mich der Kreislauf, den du ewig schwenkst
In Sehnsucht, durch den Einklang angezogen,
Den du – verteilt zum Wohllaut – weiterschenkst,

Da schwamm in roter Glut der Himmelsbogen,
Endlos! Wie Strömung oder Regenflut
Wohl niemals schwellten eines Sees Wogen. -

Der ungewohnte Klang, das Sonnenblut
Erregten nach dem Grund mir solch Verlangen,
Wie ich es nie empfand mit schärferer Glut.


Im Original:  

Quando la rota che tu sempiterni
desiderato, a sé mi fece atteso
con l'armonia che temperi e discerni,  

parvemi tanto allor del cielo acceso
de la fiamma del sol, che pioggia o fiume
lago non fece alcun tanto disteso.  

La novità del suono e 'l grande lume
di lor cagion m'accesero un disio
mai non sentito di cotanto acume.


Als die Himmel die durch deinen Willen
sich ewig drehen, mich zogen ganz in ihren Bann
mit ihrer Harmonie die du schenkst und austeilst

da schien es mir als sei der Himmel
von der Sonne so entflammt, dass nie
der Regen oder ein Fluss einen solchen See geschaffen

Der nie gehörte Ton, das große Licht
erweckten in mir ein Verlangen nach dem Grund
wie der Verstand es noch nie ersehnte

Wir sehen also, dass Dante seine Drohung wahr macht.

1) Er kann über das Paradies nicht berichten

2) Wer noch nie dort war, hat eben Pech gehabt und soll sich mit Gleichnissen zufrieden geben

3) Wer ihn nicht versteht, ist einfach nur dämlich (das kommt gleich)

In der ersten Terzine duzt er irgendjemand Unbekanntes, das ist neu. Mit wem er sich da unterhält ist unklar, es tönt ein bisschen so, wie wenn er sich mit der Liebe unterhält. Die Sphären drehen sich ewig, wie genau, erfahren wir später. Der Himmel ist angefüllt mir einem Lichtsee. Dieser ist größer als jeder See, der auf Erden von Wasser oder Regen gespeist wird. Wir erbärmlichen Erdenwürmer scheitern natürlich schon an der Vorstellung, Licht als etwas besonders Beglückendes zu sehen und wir Germanen, die wir ja einen ewigen Grauschleier über uns haben, sowieso. Manchen von uns ist aber schon aufgefallen, dass in der Tat das Licht von Bella Italia sehr hell ist. Als wir noch jung und empfänglich waren, hat uns das sogar beeindruckt, also wenn man nach einer nächtlichen Zugfahrt in Milano aus dem Zug und zum nächsten Capuccino schlurft, sich da irgendwo hinsetzt, da war das was, das Licht von Bella Italia. Heute sind wir ja stumpfer geworden, das Abenteuer ist auch ein bisschen weg, seit mit Air Berlin Pisa nur noch 80 Euro und 1 Flugstunde entfernt ist. Also irgendwie kann man Licht mit Glück verbinden. Aber ein Lichtsee? Denkt er an sowas wie Tropical Island? Kennen Sie das? Also das ist so ein Erlebnispark mitten in der brandenburgischen Pampa, in einem umfunktionierten Gebäude, in dem mal Zeppelins hätten gebaut werden sollen (die größte freitragende Halle der Welt). Die haben auch irgendwelche Sachen mit Licht, über den Schwimmbädern. Aber was zum Teufel hat eigentlich Dante zu diesem Bild inspiriert? Und sind die Italiener, die ihr super Licht den ganzen Tag haben, wirklich davon begeistert oder lassen die die Rollläden runter? Das mit den Sphärenklängen (...der nie gehörte Ton) ist Pythagoras, der sah das All von einem harmonischen Akkord durchdrungen, wir vermuten aber, dass er diese Sphärenmusik auch nie gehört hat, tönt vielleicht so wie Tangerine Dream. Kennen Sie nicht? also sphärisch. Das ist wohl ganz nett mit zugekokster Birne, das Problem ist nur, der Autor kokst nicht, er hat also den Eindruck, dass es ihm im Paradies so gehen würde wie in Granada. Da saß ich mal mit der Jugend Granadas auf irgendeinem Platz und die waren alle voll mit chocolate, also Hasch und tierisch lustig, konnten sich über jeden Quark amüsieren. Ich fand lediglich, dass die ziemlich einen an der Waffel hatten. Also dass ich, wenn ich das christliche Programm fahre, ins Paradies verfrachtet werde, ohne dass mir mal jemand beschreiben kann, was das für eine Orgie gibt (Lichtsee klingt ja irgendwie auch nach LSD Trip), find ich das schon ganz schön krass. Koksen kann ich auch hier, will ich aber nicht. Um ehrlich zu sein, sechs Monate Sommer würden mir reichen, da kann ich dann jeden Tag 1 km paddeln im Freibad, das reicht mir. Wenn das nicht geht, dann sollen die Berliner Bäderbetriebe die bestehenden Hallenbäder verbreitern, das wäre auch wirtschaftlich rentabler, die Fixkosten bleiben konstant, aber sie haben mehr Besucher. Dann ist das Paradies auch business. Man muss es wohl früher oder später mal sagen, der Autor ist im Nebenberuf noch diplomierter Volkswirt, da sieht man manche Sachen einfach mal ziemlich nüchtern. Also meine Vorstellungen von Paradies sind irgendwie konkreter.

Sie, deren Blicke klarer mich durchdrangen
Als ich mich selber, stillte das bewegte
Gemüt, eh meine Frage noch ergangen,

Das scheint ihn irgendwie zu beschäftigen, den Dante, dass irgendjemand in die Tiefen seines Gemütes schauen kann. Das hat er auch ständig von Vergil behauptet, der hat ihm auch ständig Fragen beantwortet, noch bevor er diese überhaupt formuliert hat. Wir finden das interessant. Denn insgesamt liefert Dante so holzschnittartige, schematische psychologische Beschreibungen, dass es schon überrascht, wenn überhaupt irgendwas kommt. Das wäre überhaupt interessant, inwieweit der mittelalterliche Mensch zur Introspektion und Selbstanalyse fähig war und inwieweit er in der Lage war, sich und seine Umwelt differenziert wahrzunehmen. Liest man Dante, hat man ja den Eindruck, dass Menschen nur noch schematisch wahrgenommen wurden. Wir hätten also gerne einen Roman à la Stendhal, Dostojewski, Flaubert, Zola, Fontane. Das haben wir aber nicht und wer behauptet, dass es sich bei der Divina Commedia im Grunde um einen Roman handelt(da gibt es irgendein Professorchen, der behauptet das), der hat noch nie einen Roman gelesen. Wir haben also ein weites Feld. Wir wüssten gerne, unter welchen Bedingungen Romane wie die oben genannten entstehen und inwiefern ein Mensch des Mittelalters tatsächlich mehr hätte leisten können als Wortdrechslerei.

Und sprach zu mir: „Dein eigner Irrwahn legte
Die Binde dir ums Auge, um zu sehen,
Reiße sie ab, die Blindheit dir erregte.

Dante durchschaut also nicht, woher die Musik kommt und das Licht und Beatrice behauptet, dass er das nicht versteht, weil er noch mit Blindheit geschlagen ist, wobei sie natürlich nicht sagt, worin diese Blindheit denn nun besteht. Wir vermuten, dass Dante immer noch irdische Maßstäbe anlegt und folglich die Hausordnung im Paradies noch nicht begriffen hat. Die wird er jetzt, erleuchtet von Beatrice, ablegen.

Du glaubst noch auf der Erde Grund zu stehen,
Doch seinem Glutblitz ist kein Blitz entschossen
So schnell, als wir ihm jetzt entgegengehen.“

Im Original:

Tu non se' in terra, sì come tu credi;
ma folgore, fuggendo il proprio sito,
non corse come tu ch'ad esso riedi».


Du bist nicht mehr, auf der Erde, wie du glaubst
ein Blitz, der von seinem Ursprung sich entfernt
flog nie so schnell wie du dorthin gelangtest


Das ist jetzt nicht wirklich eine Antwort auf seine Frage. Die Frage war, woher die Musik und das Licht kommen. Darauf antwortet sie ihm, dass er schnell wie Blitz ins Paradies gelangt ist, das hängt zwar irgendwie mit der Frage zusammen, aber eine direkte Antwort ist es nicht. Das mit dem schnell wie der Blitz müssen wir wörtlich nehmen, denn das Paradies kann überall sein auf der Welt, also da können schon gewaltige Strecken zurückgelegt worden sein. Die Tatsache allein aber, dass Dante sich mit der Geschwindigkeit eines Blitzes fortbewegt hat, ist aber im Übrigen weit weniger interessant, als die Frage, mit was er sich fortbewegt hat. Mit der Geschwindigkeit eines Blitzes und ohne Transportmittel lässt einen natürlich sofort vermuten, dass er vom Purgatorio in Paradies gebeamt wurde. Würde man Dante darauf hinweisen, dass hier doch ein wesentliches Element fehlt, würde er wahrscheinlich vorbringen, dass die Erinnerung an das Paradies bei der Rückkehr auf die Erde nur noch blass war, dass der Leser sich mit einem Gleichnis zufrieden geben soll, und dass er drittens sowieso zu blöd ist. Auch das Argument, dass es sich ja um Dichtung handelt, können wir nicht gelten lassen. Man kann auch in einer Dichtung nicht bestimmte geographische Verhältnisse sehr präzise beschreiben wollen, andererseits aber über ganz naheliegende Fragen schweigen. Eine Dichtung braucht eine innere Logik. Wer einen realistischen Roman schreibt, kann nicht auf einmal ein paar Seiten im Tonfall der Romantik einführen, er muss sich dann an den Kriterien messen lassen, die er selbst aufstellt. Das Problem bei Dante ist, dass das Werk von vorneherein eine konzeptionelle Schieflage hat. Man kann, hier irren die Professorchen, über das Paradies schreiben, man kann Linien, die in der Welt vorhanden sind, ins Utopische verlängern, man kann aber dichterisch den salto mortale ins Vakuum nicht darstellen.

Dies kurze Wort, das lächelnd ihr entflossen,
Konnte den Wahn mir siegreich niederstreiten,
Doch schon hielt mich ein zweites Netz umschlossen.


Zugekokst oder nicht, das ist hier die Frage. Bei Leuten, die zugekokst sind, scheint ja irgendwie die rationale Verarbeitung von Informationen weitgehend brach zu liegen, es wird nur noch die Information verarbeitet, die geeignet ist, das subjektive Wohlempfinden zu stärken. Deswegen lächeln die Zugekoksten ja auch immer wie Honigkuchenpferde. Allein schon die Tatsache, dass Beatrice ihm antwortet, hält er schon für die Antwort selbst. Sie teilt ihm mit, dass er sich im Paradies befindet und das macht ihn glücklich. Als Außenstehender würde man ja sagen, dass, wenn er jetzt noch nicht gemerkt hat, dass er im Paradies ist, er dann gleichzeitig zugekokst und besoffen ist. Wäre er nüchtern, so würde er sich immer noch nach der Quelle der Musik fragen. Wenn ich irgendwo bin und höre plötzlich Musik und jemand antwortet mir, ich bin in Sevilla, dann würde ich knochentrocken antworten, dass mir das bekannt ist, aber nicht klärt, wo die Musik herkommt.

Bei dem zweiten Netz, das ihn gefangen hält, würden wir jetzt glatt vermuten, dass selbst wir ihm eine Antwort geben könnten, die qualitativ der Antwort der Beatrice ebenbürtig ist.

Ich sprach: „Mein großes Staunen weicht beizeiten,
Indes ich staunend neues Rätsel finde,
Weil wir durch leichte Stoffe aufwärts gleiten?“


Immerhin, hier hat er das mit dem Auftrieb schon mal begriffen, das war nicht immer so. Er fragt sich also, wie Materie, die schwerer ist als die sie umgebende Materie aufwärts gleiten kann.

Beatrice kommt dann wieder mit ihrem üblichen „ach Gott was für ein Dummerchen“ Gehabe, mit dem sie kaschiert, dass sie die Antwort selber nicht weiß, wie wir gleich feststellen werden.

Mitleidig seufzte sie, und zärtlich linde
Ließ sie die Augen auf mir ruhn, als hinge
Ein Mutterblick am fieberkranken Kinde.


Also, fassen wir für Beatrice die konkrete Frage nochmal zusammen, allerdings ohne jede Hoffnung, dass sie dann auf diese konkrete Frage auch tatsächlich eingehen wird. Dante fragt, wie es sein kann, dass Materie, die schwerer ist als die sie umgebende Materie, Auftrieb hat. Die Zustände, die im Paradies herrschen, würden nämlich bedeuten, dass Flugzeuge am Boden festgebunden werden müssen und Energie nur gebraucht wird, wenn sie wieder runterkommen sollen. Das wäre die Lösung einiger handfester Probleme. Das ist also die ganz konkrete Frage: Woher kommt der Auftrieb (ma ora ammiro com'io trascenda questi corpi levi). Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass Gott hier offensichtlich einen Spezialfall gleich mitgeplant hat. Normalerweise kommen ja nur die Seelen ins Paradies. Die sind leichter als Luft, schweben also nach oben. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass das Problem eigentlich kaum lösbar ist. Denn, wenn sowohl die Seelen, die leichter sind als Luft, wie auch die Körper, die schwerer sind als Luft, Auftrieb erhalten, dann muss ständig die Dichte der Luft geändert werden. Schon diese Überlegung zeigt, dass Beatrice diese Frage nicht wird beantworten können, denn sie ist unbeantwortbar. Anstatt nun aber schlicht zu sagen „no clue“, keine Ahnung, brabbelt sie daher wie ein Politiker zu Wahlkampfzeiten, lenkt von der ursprünglichen Frage ab. Sie tun also gut daran, das, was jetzt kommt, schlicht zu ignorieren. Die Quintessenz ist, dass Beatrice keinen Plan hat. Zoozmann ist hier leider weitgehend ausgestiegen, so dass wir uns am italienischen Original orientieren müssen.

„Ordnung hält miteinander alle Dinge
Verknüpft“, sprach sie, „die formt das Weltall nur
Dass sie es mit Gottähnlichkeit durchdringe.


Das ist wohl so ähnlich wie bei Goethe:

Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.

Das heißt, die göttliche Ordnung ist unerschütterlich, von Gott angelegt, alles ist geordnet nach Gottes Plan. Was der kleine Mephistopheles da abzieht, amüsiert Gott zwar, berührt aber diese Ordnung überhaupt nicht.

Die hehren Wesen sehn in ihr die Spur
Allewger Tatkraft, der als Endzweck eben
Die Ordnung dient, wie das Gewicht der Uhr.

Das ist sehr frei, da müssen wir uns doch das italienische Original anschauen.

Qui veggion l'alte creature l'orma
de l'etterno valore, il qual è fine
al quale è fatta la toccata norma    

Hier sehen die höheren Lebewesen
die Wirkung der Tugend, die das Ziel ist
und nach der geschaffen ward die Ordnung


Soll wohl heißen, dass die Tugend (etterno valore = ewiger Wert) diese Ordnung bewerkstelligt, gleichzeitig aber auch deren Ziel ist.  

Jedweden Stoff lässt diese Ordnung streben
Zum Ursprung, wie das Schicksal seine Bahn
Bald fern, bald nahe diesem Ziel lässt schweben.


Original:

Ne l'ordine ch'io dico sono accline
tutte nature, per diverse sorti,
più al principio loro e men vicine;  

Nach dieser Ordnung strebt
alles, was Natur hervorgebracht, jedoch jedes in besonderer Weise,
ganz nach ihrem Ursprung und weniger nah.


Also alles, was die Natur hervorgebracht - das sind die Dinge, die leben: Pflanze / Tier / Mensch, denn das andere: Berge / Täler / Fluss ist zwar auch Natur, wird aber nicht hervorgebracht - neigt nun zu dieser Ordnung, die einen mehr (höchstwahrscheinlich die Menschen) und die anderen weniger (höchstwahrscheinlich Tiere und Pflanzen). Was die „Neigung zu dieser Ordnung“ (Ne l‘ ordine ch‘ io sono accline) nun konkret bedeutet, lässt sie erstmal offen.

Drum lenkt im großen Lebensozean
Der Trieb sie alle zu verschiednen Häfen,
Dem jeder von Natur aus untertan.


Zoozmann hat irgendwie versucht, in dieses Geblubber einen Sinn zu bringen, hat also interpretiert.

onde si muovono a diversi porti
per lo gran mar de l'essere, e ciascuna c
on istinto a lei dato che la porti.    


Dort bewegen sie sich zu verschiedenen Ausgängen
durch das große Meer des Seins, und jeder gemäß
des Triebes der ihm gegeben und ihn treibt

Was das heißen soll, ist zwar unklar, aber wir hoffen mal, dass es heißen soll, dass die Rindviecher nicht im Paradies landen, die nehmen, nachdem sie zu Steak verarbeitet worden sind, eine andere Ausfahrt aus dem irdischen Jammertal.

Der treibt das Blut durch Menschenherz und Schläfen
Der presst den Erdball rund – und ohne den
Wir auf dem Mond nicht Licht und Feuer träfen.

Im Original:

Questi ne porta il foco inver' la luna;
questi ne' cor mortali è permotore;
questi la terra in sé stringe e aduna;  


Dieser treibt das Feuer auf den Mond,
Dieser ist der Sterblichen Herzen Motor
Dieser lässt die Erde sich ballen


Also spätestens jetzt steigen wir allmählich aus. Das Feuer steigt nach oben, also zum Mond hin, so weit so gut, aber was der Trieb mit dem Herzen zu tun hat, das ist tief versenkt im rätselnden rätselhaften Busen des Dante Alighieri. Das letzte ist die Gravitationskraft. Die sorgt zwar tatsächlich dafür, dass die Erde nicht auseinanderfällt, aber was das mit dem Rest zu tun hat, ist völlig unklar. Wenn wir also den Gedankengang der holdseligen Beatrice zusammenfassen, würden wir sagen, dass wir es, wie Musil dies so treffend beschreibt, mit einem freien Assoziieren im Raum bei herabgesetzter Denkleistung zu tun haben.  

Sie stellt zuerst fest, dass alle Dinge in einer wohlgeordneten Beziehung zueinander stehen und sieht hierin das Wirken eines Schöpfers, meinetwegen. Die höheren Wesen (also wahrscheinlich die Menschen) sehen in dieser Tatsache, dass es eine Ordnung gibt, das Wirken einer Kraft (eterno valore = der göttlichen Kraft?), die Bedingung dieser Ordnung ist und eben diese Ordnung auch immer wieder bestätigt, denn alles was die Natur hervorgebracht hat, will sich in diese Ordnung integrieren, durch eben jene Kraft. Allerdings will nicht alles, was die Natur hervorgebracht hat, an die gleiche Stelle, das hängt ab vom Trieb (istinto). Dieser Trieb treibt das Feuer Richtung Mond, drückt die Erde zusammen und lässt das Blut zirkulieren. Das ist also die Antwort Beatrices auf die Frage, warum der Auftrieb im Himmel umgekehrt funktioniert, wie auf der Erde, wobei es im Grunde auch nicht egal ist, welche Gesetze gelten, sie müssen erklären, dass sowohl die Körper, die leichter sind als Luft, wie auch die Körper, die schwerer sind als Luft nach oben steigen. Die göttliche Ordnung und die Triebe oder wer auch immer müssen eine verdammt raffinierte Angelegenheit sein. Mir allerdings wird allmählich klar, warum sie Dante aus Florenz ausgewiesen haben. Ich bezweifle doch sehr stark, dass man so jemanden mit wichtigen politischen Ämtern betrauen sollte.

Und nicht nur auf die toten Dinge gehen
Von diesem Bogen aus die sichern Pfeile,
Auch Herz und Geist muss sich getroffen sehn.


Da hat sich aber der Zoozmann sein Hirn zermartert und versucht hier Sinn reinzubringen. Im Original sieht das so aus:

né pur le creature che son fore
d'intelligenza quest'arco saetta
ma quelle c'hanno intelletto e amore.  

Und nicht nur die Kreaturen die
Entbehren der Intelligenz spannt dieser Bogen
sondern auch die die Intelligenz und Liebe haben


Also das mit den toten Dingen geht ein bisschen zu weit, weil Dante ja von Kreaturen spricht, und eine Kreatur kann zwar ein Rindvieh sein, also schon ein bisschen dämlich, aber ist eben kein totes Ding. Sagen will er uns also, dass nicht nur die Rindviecher sich einordnen in die göttliche Ordnung, sondern auch die Wesen mit Intelligenz und Amore, damit meint Dante so Leute wie er selbst.

Und Vorsicht, die zum Ganzen eint die Teile,
Schenkt durch ihr Licht dem Himmel endlos Ruh,
In dem der andre kreist in größter Eile.


Bei Dante ist das Empyreum, also der oberste Kreis des Himmels, unbeweglich, während sich die unteren drehen. Das behauptet auch Thomas von Aquin und Albertus Magnus, warum das wichtig ist, weiß kein Mensch. Wenn man aber bedenkt, dass im Empyreum, also im 10ten Himmel Gott und Engel sitzen, dann wird das durchaus verständlich. Der Herrgott ist ja ein älterer Herr, der will nicht ständig von irgendwelchen Drehungen durchgeschüttelt werden. Das hat zwar mit dem vorherigen, also mit Ordnung, dem Trieb, den Rindviechern und nicht Rindviechern nichts zu tun, aber Beatrice wollte das mal erwähnen, das haben ältere Leute so an sich, was ihnen irgendwann mal wichtig war, erzählen sie ungefragt und immer wieder, immer wieder, immer wieder.

So wird zum vorbestimmten Ort im Nu
Uns beide jetzt die Kraft des Bogens bringen,
Der alles hinschießt frohem Ziele zu.

Na ja, so ähnlich.

e ora lì, come a sito decreto,
cen porta la virtù di quella corda
che ciò che scocca drizza in segno lieto.  

Dorthin an jenen ruhigen Ort wird
Uns nun bringen, die Tugend dieser Sehne
die was abschießt, lenkt zu diesem fröhlichen Ziele

Also irgendein Trieb, der im vorigen didaktisch brillant und durch Induktion abgeleitet wurde, führt Beatrice und Dante nun in den Himmel, Endziel Empyreum.

Nicht immer kann der Künstler zwar erzwingen,
dass sein Gebild sich ganz der Absicht füge,
Lässt spröder Stoff sich geistig nicht durchdringen,

So hat oft darin ein Geschöpf Genüge,
Dass von der Bahn, in die es warf der Bogen,
Sich‘ s später trennt durch eigenmächtge Flüge


Das Original:

Vero è che, come forma non s'accorda
molte fiate a l'intenzion de l'arte,
perch'a risponder la materia è sorda,

osì da questo corso si diparte
talor la creatura, c'ha podere
di piegar, così pinta, in altra parte;

Wahr ist‘ s, wie wenn die Form nicht günstig
Für die Absichten der Kunst
Weil die Materie sich stumm stellt allen Fragen  

So weicht vom Weg ab manche Kreatur
die abzuweichen in der Lage
Ist vom Wege, wandelt dann auf anderen Pfaden

Dante vermischt also zwei Dinge. Zum einen mal die Beschreibung des künstlerischen Prozesses, zum anderen die Kreatur, die manchmal aus nicht näher genannten Gründen doch nicht nach oben strebt. Was den künstlerischen Prozess angeht, stimmen wir Dante zu. Es gibt Materie, zum Beispiel die Theologie des Thomas von Aquin, die für die künstlerische Darstellung völlig ungeeignet ist, die Form der Terzine zum Beispiel ist für die Darstellung derselben völlig ungeeignet. Auf die Bedürfnisse der Kunst antwortet dann die Materie nicht, da kann man die Musen anrufen bis der Arzt kommt. Zu diesem zweifelsohne zutreffenden Tatbestand sieht er eine Parallele in der Kreatur, die sich manchmal durchaus nicht den Intentionen des Schöpfers beugen will und eigene Wege geht. Da würden wir Dante sogar mal zustimmen, kommt ja selten genug vor.

Als ob der Blitz aus Wolken kommt geflogen,
Und dann verderblich in die Erde schießt,
Wenn Störung ihn der Ursprungsbahn entzogen.

Ob der Vergleich so passt, wissen wir nicht. Dante meint wohl, dass ein Blitz normalerweise nach oben gehen müsste, der Autor ist der Meinung, dass sich Blitze fast immer nach unten entladen, dass da eine Störung der Ursprungsbahn vorliegt, würde er jetzt erstmal bezweifeln.

Wenn du dich also aufwärtssteigen siehst,
Ist‘ s wunderbarer nicht, als wenn das schräge
Felsbett hinab ein Bach zu Tale fließt.

Seltsamer wär‘ s, verharrtest du noch träge
Auf Erden, seit du ihrer Last enthoben;
Sahst du , dass Feuer je am Boden läge?“

Drauf kehrte sie den Blick zurück nach oben.


Also die Beatrice ist schon ziemlich bluna. Bei ihr steigt also irgendwie nicht das Feuer nach oben, weil heiße Luft nun mal nach oben steigt, sondern weil irgendwelche Triebe die Ordnung, die von einer göttlichen Kraft begründet und verewigt wird, immer wieder bestätigen. Selbst wenn wir mal darüber hinwegsehen, dass Auftrieb durch unterschiedliche Dichte entsteht, ihre Theorie also Megablödsinn ist, bleibt noch ein anderes Problem. Dieselbe Theorie müsste dann auch erklären, warum manche Dinge auch sinken.