Wir sind nun im 33. Gesang und Geträller des Läuterungsberges, also kurz vor dem Paradies. Wir wissen zwar immer noch nicht, was uns da erwartet, aber es wird immer unwahrscheinlicher, dass wir dort unseren Spaß haben werden, denn alles, was Spaß macht, ist da mit Sicherheit verboten: Der Rehbraten mit Preiselbeeren, Spätzle und Salat ist Gula (Gefräßigkeit), die hübschen Mädels sind entweder Anstandswauwaus, texten wie Lieschen Müller vom Finanzamt, oder präsentieren gar die Theologie, bei der Musik, die da tönt, steht die Befürchtung im Raum, dass das weder Beethoven noch Deep Purple ist, das ist immer irgendwie was Meditatives, und wer will schon ständig meditieren. Lehnen Sie sich also erstmal zurück und überlegen Sie sich, ob Sie da wirklich hinwollen, bzw. versuchen Sie eine Vorstellung darüber zu gewinnen, was sie da erwarten könnte. Das ist übrigens aus wissenschaftlicher Sicht auch das Problem mit dem Lied „Paradies“ von den Toten Hosen.

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Sie legen den Schwerpunkt auf die Frage, ob sich die Mühe lohnt.

Ich will nicht ins Paradies,
wenn der Weg dahin so schwierig ist

Die Frage, wie es da aussieht, wird nur in einem Nebensatz angedeutet.

Wer weiß, ob es uns dort besser geht

Die Frage ist also, wird Dante die Frage beantworten, die die Toten Hosen nicht beantworten? Werden wir gewichtige Argumente finden, um ins Kloster zu gehen und über das irdische Jammertal zu meditieren? Oder werden wir eher versuchen, den Laden hier unten mal in Ordnung zu bringen und das Paradies auf die Erde zu verlagern. Letzteres hätten wir ja immerhin in der Hand, wäre einer rationalen Analyse zugänglich. Hierfür müsste man ja nur die Chefideologen aller Couleur von Dante über Marx bis Beckstein in die Wüste Sahara schicken und die anderen Talibans gleich hinterher.

„Deus venerunt gentes“, also fingen
Die Frauenchöre, wechselnd vier und drei,
Den süßén Psalm mit Tränen an zu singen


Sie singen also den 1. Vers des 78 Psalm:

Deus venerunt gentes in hereditatem tuam polluerunt templum sanctum tuum posuerunt Hierusalem in pomorum custodiam.

HERR, es sind Heiden in dein Erbe gefallen, die haben deinen heiligen Tempel verunreiniget und aus Jerusalem Steinhaufen gemacht.

Die Übersetzungen sind merkwürdigerweise nicht überall gleich, manchmal ist der 78. Psalm der 79. Im Deutschen auf jeden Fall ist es der 79. Psalm, in vielen englischen Versionen der Bibel der 78.

Die Herrin lieh gerührt der Litanei
Ihr Ohr voll Mitleid und so grambezwungen,
Als ob sie unterm Kreuz Maria sei.

Es gibt eine Pop Version davon bei Youtube (auf Hebräisch??)
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Bei Dante klang das wahrscheinlich irgendwie so.
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Das Problem ist, dass bei Letzterem Kinder involviert sind. Die sollte man zum Denken bringen, nicht zum Glauben. Denn wer glaubt, ist zu faul zum Denken. Eine der drei christlichen Tugenden (Liebe, Glaube, Hoffnung) ist also eine ausgesprochene Untugend. Man sollte das auch sehen beim Religionsunterricht an den Schulen und ob man den auch in der islamischen Version erteilt. Man kann über religiöse Fragen ergebnisoffen diskutieren, was die Kiddies dann daraus machen, sollte man ihnen überlassen. Es gilt immer noch, was schon Theodor Storm zutreffend festgestellt hat:

Der Glaube ist zum Ruhen gut, doch bringt er nicht von der Stelle;
Der Zweifel in ehrlicher Männerfaust, der sprengt die Pforten der Hölle.

Es ist auch nicht zutreffend, dass der Glaube Berge versetzt. Historisch gesehen hat er eher einen Misthaufen mit einer Betonschicht versiegelt.

Doch als des Psalmes letzter Ton verklungen,
Sah ich stolz aufrecht Beatricen stehen -
Sie sprach verklärt, begeisterungsglutdurchdrungen.

Das kennen wir auch, von Kirchentagen, Weltkirchentagen etc. Da glühen dann Tausende von Leuten, wenn der Ratzinger, Joseph vorbeifährt in seinem Papamobil; die sind dann so heiß wie ein Huhn im Backofen, erhitzt ohne eigenes Zutun, besoffen von man weiß nicht von was. Begeisterungsglutdurchrungen ist die Beschreibung eines Krankheitsbildes, wie Typhus, Pest und Cholera.

„In kurzem – und ich muss von hinnen gehen,
Und wiederum, ihr Schwestern, meine Lieben,
In kurzem - und ihr sollt mich wiedersehen.


Im Original geht das so:

"*Modicum, et non videbitis me;
et iterum*, sorelle mie dilette,
*modicum, et vos videbitis me*".

Das Original zitiert also eine Stelle aus Johannes 16, 16: Über ein kleines, so werdet ihr mich nicht sehen; und aber über ein kleines, so werdet ihr mich sehen, denn ich gehe zum Vater.

Das ist eigentlich nicht schlecht. Wenn Sie sich also in Zukunft von Ihren Kumpeln / Arbeitskollegen / Bekannten verabschieden, könnten Sie das schlichte „bis später“ durch ein „Modicum, et non videbitis me, modicum, et vos videbitis me“ (Ein kurzes, und ihr werden mich nicht mehr sehen, ein kurzes, und ihr werdet mich wiedersehen) ersetzen.

Voranzugehn befahl sie dann den Sieben;
Es schritt die Blumenleserin und ich
Mit Statius nach, von ihrem Wink getrieben.

Die Sieben sind die Tugenden, die folgen ihr. Ab und an taucht auch Statius wieder auf, während Vergil sich ja schon sein längerem verabschiedet hat.

So ging sie – doch sie hatte sicherlich
Noch nicht zurückgelegt der Schritte zehen,
Da flammte ihre Auges Glanz auf mich

Dante teilte uns mal wieder genau mit, welche Entfernung zurückgelegt wurde: 10 Schritte. Das ist jetzt natürlich einfacher als mit dem dreifachen der Reichweite eines Pfeiles, da mussten wir ja nachrechnen. Ob wir allerdings die Hotline 0190 / Dante (1,30 pro Minute) angerufen hätten, wenn er uns das nicht mitgeteilt hätte, wage ich zu bezweifeln.

Und milde sprach sie: „Schneller musst du gehen;
Mich drängt mein Herz, so vieles dir zu sagen,
Drum tritt heran, um deutlich zu verstehen. -


Das klingt jetzt erstmal nach einem romantischen Spaziergang im Mondenschein, sie will ihm etwas sagen, aber inzwischen sind wir ja mit ihrem sehr spezifischen Charakter vertraut.

Doch, Bruder, warum seh ich dich so zagen“,
Sprach sie, als ich ihr nah wie sie befohlen,
„Hemmt meine Nähe dir so ganz das Fragen?“

Wie einer gleichsam steht auf glühnden Kohlen
Vor Ehrfurcht, redet ihn ein Großer an,
Um sich kein Wort getraut hervorzuholen,

So ich, tonlos, stockend nun begann:
„O Herrin, fremd blieb nie Euch mein Verlangen,
Ihr wisst, was mir zum Heile dienen kann.“


Sie spricht ihn also tatsächlich mit Bruder an (frate) , das scheint also eine lange Tradition zu haben und keine Idee der Muslimbrüderschaften zu sein, die reden sich ja auch mit Bruder und Schwester an. Was das Verlangen angeht, das sie kennt, ist Beatrice, so sie es denn kennt, weiter als wir. Denn im Grunde (so richtig genau ) wissen wir auch nicht , was Dante will, weil er noch nie konkret geworden ist. Wir wissen nur, dass er sich auf halbem Wege seines Erdenlebens in einem dunklen Wald verloren hat und nehmen das als Metapher für eine seelische / geistige Verwirrung oder Unsicherheit, aber worin diese genau bestand, hat er uns bis jetzt noch nie verraten. Was ihm zum Heile dienen kann, wissen wir auch nicht so genau. Wir können uns zwar vorstellen, dass die Vorführung des höllischen Gruselkabinetts geeignet ist, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, dort nicht hinzukommen, aber warum er konkret befürchtete, da zu landen, wissen wir nicht. Geeignet zu seinem Heile scheint irgendwie auch seine Liebe zu Beatrice zu sein, aber auch das ist nicht so richtig dargestellt.

Und sie zu mir: „Ich will von Scham und Bangen
Befreit dich sehen, darum auf! Erwache,
Und sprich nicht , wie man redet schlafbefangen.

Das ist jetzt mal eine ganz merkwürdige, psychologische Aussage. Jemand der sich schämt, der spricht dann auch verstockt, druckst rum. Aber schlafbefangen (com'om che sogna)?  Sie haben natürlich nicht erwartet, dass Beatrice ihm jetzt erzählt, dass sie in den letzten zehn Jahren immer wieder an ihn gedacht hat, an sein Lächeln, seine Gedichte, an das, was ihn unterscheidet, dass es das ist, was sie ihm mitteilen will. Der Panzer fährt jetzt fort mit seinem altklugen Gewäsch. Eines auf jeden Fall steht fest, wenn ein Dante auf eine Beatrice trifft, dann kommen die bombensicher in den Himmel, weil die schon als Methusalems auf die Welt gekommen sind.

Vernimm: der Wagen, den zerstört der Drache,
Er war und ist nicht! Doch der Schuldge glaube:
Ein Totenschmaus hemmt niemals Gottes Rache!

So ähnlich.

Sappi che ‘l vaso che 'l serpente ruppe
fu e non è; ma chi n'ha colpa, creda
che vendetta di Dio non teme suppe.


So wisse denn, dass der Wagen, der von der Schlange ward zerschlagen,
war, aber jetzt nicht ist; doch der, der trägt daran die Schuld, glaubt
Dass die Rache Gottes keine Hindernisse kenne  

Wir haben also ein Problem mit dem zweiten Teil, den schauen wir uns gleich an. Der erste Teil ist klar, der Wagen, also die Kirche war (Vergangenheit), aber ist nicht mehr (Gegenwart). Der Grund hierfür ist, meint Dante, die Vermischung von Weltlichem und Geistlichem im Allgemeinen und konkret die enge Anbindung des Papsttums an das französische Königshaus. Und schuld daran (chi n‘ ha la colpa) ist der Papst. Probleme bereitet dann der Nachsatz: …creda che vendetta di Dio non teme suppe (…doch der, der trägt daran die Schuld, glaubt, dass die Rache Gottes keine Hindernisse kenne…).  

Der Autor würde jetzt sagen, wir haben mit creda einen congiuntivo, und dieser wird in einer etwas ungewöhnlichen Form eingesetzt, eigentlich müsste so übersetzt werden:

So wisse denn, dass der Wagen, der von der Schlange ward zerschlagen,
war, aber jetzt nicht ist; doch der, der daran vielleicht die Schuld trägt, soll glauben,
dass die Rache Gottes keine Hindernisse kennt


Übersetzt man so, wie alle anderen dies tun, ergibt das keinen rechten Sinn. Wenn der Papst tatsächlich der Meinung wäre, dass die Rache Gottes keine Hindernisse kennt, würde er sich an den Riemen reißen, das tut er aber nicht. Logischer ist es, den Satz als Aufforderung zu verstehen. Der Papst soll sich klar machen, dass die Rache Gottes keine Hindernisse kenne. Diese Übersetzung ist auch grammatikalisch einleuchtender, denn ganz unstrittig steht da ein congiuntivo (creda) und kein indicativo (crede).

Ein Erbe wird erstehen aus dem Staube
Dem Adler, der sein Federkleid zerstreute,
Drob er als Untier andern ward zum Raube.

Ich prophezei – denn klar schon seh ich‘ s heute:
Die Sterne lassen eine Zeit erstehen,
Die keinem Hindernisse fällt zur Beute


Der Adler stand ursprünglich für Konstantin. Mit dessen Übereignung eines Teils des römischen Reiches begann für Dante ja das Malheur. Jetzt steht er aber für das Kaisertum allgemein, und dieser Kaiser hat im Moment kein Erbe, da selbiges ja erst wieder entstehen soll. Oft wird vermutet, dass Dante hierbei an den Staufer Friedrich II dachte, den schon öfters erwähnten Stupor Mundi. Nach dessen Tod wäre Italien ohne Kaiser gewesen, sein Erbe also ohne Kaiser. Wie man da drauf kommt, ist schleierhaft, Friedrich II regierte nie uneingeschränkt in Italien, so gesehen hatte Italien noch nie einen Kaiser, da keiner seinen Herrschaftsanspruch durchsetzen konnte. „Drob er als Untier ward zum Raube“ bezieht sich dann eventuell wieder auf die konstantinische Schenkung. Der ursprüngliche Adler, Konstantin, vermachte ein Teil des Reiches der Kirche. Damit vermischt er Weltliches und Geistliches und insbesondere entstanden so die Gelüste der anderen Kaiser. Das ging dann hin und her bis zu Friedrich II. Nach dessen Tod war es dann verwaist, das Reich. So im Detail muss man das nicht verstehen und historisch gesehen ist es Mumpitz, aus x Gründen. Die konstantinische Schenkung war eine Fälschung, kein Kaiser hatte jemals die Kraft, Italien zu einigen, die ganze zwei Schwerter Theorie ist Mumpitz etc. etc. etc. In der zweiten Terzine prophezeit dann Beatrice irgendwas, bleibt nur noch die Frage, was sie eigentlich prophezeit. Eigenartig ist nur, dass die Sterne eine Zeit entstehen lassen, nicht etwa Gott, sondern die Sterne. Schauen wir also mal, was die Sterne entstehen lassen.

Wo Gott uns die Fünfhundert, Fünf und Zehen
Herschickt, durch die das Weib voll Trug und Arg
Samt ihrem Buhlen wird zugrunde gehen!

Und gab ich dir jetzt Worte, knapp und karg,
Wie Sphinx und Themis, dunkelheitsbeladen,
Dass noch der Sinn sich dir zweideutig barg-

So werden bald Ereignisse Najaden
Und diesen Rätseln dir die Lösung werben,
Doch nicht den Saaten, noch den Herden schaden.


Bei der ersten und der dritten Terzine verstehen wir ja nur Bahnhof, aber bei der zweiten, so ungeheuerlich das klingt, sind wir mit der Beamtin im himmlischen Dienste sogar einer Meinung und ich kann Ihnen zuversichtlich versichern, dass der Autor mal mit einer Beamtin einer Meinung ist, das kommt wirklich so selten vor, dass man auch sagen könnte, es kommt nie vor. Sie teilt uns also mit, dass das alles ziemlich dunkelheitsbeladen ist und dass sie in Rätseln spricht wie die Sphinx und Themis (Tochter von Uranos und Gaia, also eine Titanin, Göttin der Philosophie und Schutzpatronin des Orakels zu Delphi). Auch hier sehen wir also, dass einer Ehe zwischen Dante und Beatrice nichts entgegengestanden hätte, denn die beiden sind die Erfinder des Kreuzworträtsels. Sie fragen sich jetzt natürlich, warum ihm Beatrice nicht klipp und klar sagt, was Sache ist. Die Frage kann ich Ihnen leider auch nicht beantworten. Ich vermute, dass es bei Leuten, die absolut nichts zu sagen haben, Vorteile hat, wenn sie in Rätseln sprechen, das sieht dann irgendwie nach Geheimnis aus und so ein bisschen geheimnisvoll wollen wir ja alle sein, oder? Fangen wir also mal mit der ersten Terzine an.

Wo Gott uns die Fünfhundert, Fünf und Zehen
Herschickt, durch die das Weib voll Trug und Arg
Samt ihrem Buhlen wird zugrunde gehen!

Bevor Sie das jetzt durchlesen, sollten Sie sich klar machen, dass man nicht unbedingt sagen kann, dass das alberner Kinderkram ist, denn über die Bedeutung der Zahl 515 zermatern sich jetzt irgendwelche professoralen Philologentrottel bis spät in die Nacht das ohnehin schon vertrocknete Gehirn und Gemüt. Das Ergebnis dieses Scharfsinns wollen Sie doch wohl jetzt nicht etwa wissen, oder? Ich habe ja keine Ahnung, wie Sie drauf sind, aber von mir aus können Sie auch gleich nach unten hopsen, mit den Augen.

515 ergibt in römischen Zahlen DXV
500 = D
10 = X
5 = V

Vertauscht man jetzt noch X mit V hat man DVX, das sieht dann so ähnlich aus wie dux, der Führer. Die Frage ist dann natürlich, wer der dux, der da aufräumen soll, denn eigentlich ist. So eine ähnlich mystische Stelle haben wir auch in der Hölle, da wird von einem Veltro (Jagdhund) gesprochen. Der taucht auf im ersten Gesang der Hölle im Vers 100.

Molti son li animali a cui s'ammoglia
e più saranno ancora, infin che'l veltro
verrà, che la farà morir con doglia.

Vielen Tieren ähnelt er
Und vielen wird er noch ähnelnd
Bis der Jaghund kommt ihn zu erlegen


Auch bei diesem Jagdhund ist unklar, wer gemeint ist. Die Möglichkeiten reichen von Christus über Dante selbst bis, in jener ganz üblen Zeit, Mussolini.

Der langen Rede kurzer Sinn, die Entzifferung der 515 bringt also gar nichts. Sie können aber jetzt nicht behaupten, dass man aus dieser Episode nichts lernen kann. Eines kann man lernen, der Scharfsinn ist mit dem totalen Schwachsinn völlig kompatibel. Das ist doch überraschend, oder?  

Bleibt uns also noch die dritte Terzine.

So werden bald Ereignisse Najaden
Und diesen Rätseln dir die Lösung werben,
Doch nicht den Saaten, noch den Herden schaden.


Eher nicht.

ma tosto fier li fatti le Naiade,
che solveranno questo enigma forte
senza danno di pecore o di biade.  

Doch bald werden die Naiaden, durch die Fakten bestätigt
werden lösen diese schweren Rätsel,
ohne dass es schade den Schafen und den Feldern


Nicht klar? Hm. Der Autor dichtet ihnen jetzt noch ein Rätsel. Nun, liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht (das Dante Rätsel lösen wir gleich).

Was ist‘ s was ewig kreist
in knirschendem Getöne um das Nichts?
Was wie ein Rauch verweht
aus nichts entstand
ins Nichts vergeht?
Die Antwort ist, der Dante ist‘ s

Also das mit den Naiaden ist jetzt ein historischer Typo, Dante meint Laiaden. Die Laiaden wiederum sind die Söhne von Laios und ein selbiger ist auch Ödipus. Dieser hat das Rätsel der Sphinx gelöst. Das wiederum erboste Themis (die hatten wir oben schon, die Titanin, Zweitfrau von Zeus, Göttin der Philosophie und Schutzpatronin des Orakels von Delphi), so dass sie die Felder von Theben (die Felder der Laiaden eben, denn Laios war König von Theben) verwüstete. Wenn aber ihre Rätsel gelöst werden, dann wird das nicht passieren, werden also keine Schafe hingemordet und Äcker verwüstet. Puh, da haben wir aber nochmal Glück gehabt.

Du merke, was ich sprach! und mach zu Erben
All dieser Worte die lebendgen Seelen
Des Lebens, das ein Wettlauf ist zum Sterben.


??? Beatrice hat irgendwas Gewichtiges gesagt, und das soll Dante aufschreiben, damit es von einer Generation zu anderen vererbt werden kann? Aber was zum Teufel hat sie denn Gewichtiges gesagt und vor allem, wie sollen wir das verstehen, wenn sie oben schon knallhart sagt, dass selbst Dante zu dusselig ist, das zu verstehen. Wir schließen daraus, dass Beatrice in der öffentlichen Verwaltung des Himmels schon einige Karriereleitern empor geklettert ist, denn so wie die textet, tönen in etwa auch die Schreiben von Lieschen Müller vom Finanzamt. Den letzten Satz, „…das ein Wettlauf ist zum Sterben…“ sollten wir jetzt nicht falsch verstehen. Das heißt lediglich, das Leben ist gefährlich und endet garantiert tödlich (del vivir ch'è un correre a la morte = das Leben, das ein Laufen auf den Tod ist).

Doch soll auch deine Feder nicht verhehlen,
Wie du den Baum, der nicht für Menschen ward,
Zum zweiten Male heute sahst bestehlen.

Das erste Mal ist klar, das war die Eva, das ist sogar mal was, was wir auf Anhieb kapieren, da sind wir richtig stolz darauf. Aber Beatrice erklärt uns das jetzt nochmal im Detail:

Der erste, der in diese Frucht gebissen,
Hat heiß fünftausend Jahr nach dem begehrt,
Der ihn durch seinen Tod der Schuld entrissen.

Tja, da können wir nur in leichter Abwandlung des Goethe Wortes(ein jeder lebt’s, nicht vielen ist‘ s bekannt) sagen, viele glauben‘ s und keiner hat‘ s begriffen. Mal ganz ehrlich, glauben Sie, der Beckstein von der CSU blickt da durch? Also, Eva beißt in einen Apfel, vom Baum der Erkenntnis, verführt den Adam, da auch reinzubeißen. Die Erkenntnis, die sie dann erhalten, ist, dass sie wissen, was gut und böse ist (was ja eigentlich kein Fehler ist), und dass sie nackt sind. Das ist die Erbsünde. Gott wirft sie daraufhin aus dem Paradies und irgendwann kommt Jesus und tilgt diese Sünde, indem er sich ans Kreuz nageln lässt. Das müssen Sie sich jetzt mal auf der Zunge zergehen lassen. Der Beckstein meint, dass das Christentum prägend ist für die deutsche Kultur, der Beckstein glaubt also, dass wir alle nicht ganz dicht sind. Und für den Verein, der diesen Hokuspokus öffentlich verkündet, treibt der Staat auch noch Gelder ein. Irre, oder?! Das mit den 5000 Jahren können wir jetzt natürlich diskutieren, wir können es aber auch sein lassen. Es reicht zu wissen, dass Dante davon ausgeht, dass Adam 5000 Jahre gewartet hat, bis jemand kommt und sich dafür ans Kreuz nageln lässt, dass er einen Apfel gegessen hat.

  Du träumst, wenn dich die Einsicht nicht belehrt,
Dass dieser Wunderbaum aus guten Gründen
So hoch an Wuchs ist, doch auch so verkehrt.

Das ist jetzt witzig. Zu dem Thema hat sich Dante bislang noch gar nicht geäußert, also die Aussage, dass er das kapieren muss, wenn er nicht vor sich hinträumt, ist schon merkwürdig. Wer sich dazu geäußert hat und das voll begriffen hat mit dem Baum, ist der Autor, klar, den Dante hau ich doch allemal in die Pfanne. Der wächst umgekehrt, damit keiner hochklettern und die Früchte mopsen kann. Oder wird mich Beatrice jetzt darüber aufklären, dass ich träume?

Und wär nicht wie durch Elias Flut mit Sünden
Dein Geist umkrustet, sähst du lustbefleckt
Nicht immer noch sich Pyrams Beeren ründen,

So hättest du am Baume längst entdeckt,
Nach all den Zeichen, was des Herrn Verbot
In seiner Allgerechtigkeit bezweckt!


Der Elias ist ein Nebenfluss des Arno, und sein Wasser war berühmt dafür, besonders kalkhaltig zu sein. Gegenstände, die man also darin lagerte, waren dann mit einer Kalkschicht bedeckt. Der Geist Dantes ist also etwas verkrustet, meint Beatrice, eine Meinung, die wir teilen, der Thomas von Aquin hat ihm glatt eine Menge Hirnzellen zugestopft . Die andere Geschichte, die mit Pyrams, die kennen wir schon aus dem 27. Geträller des Läuterungberges, das war die Geschichte mit Romeo und Julia in Babylon. Also der Piramos liebte Thisbe, die trafen sich unter einem Maulbeerbaum. Einmal wird Thisbe dabei von einer Löwin angefallen, die gerade ein Schaf verspeist hat, kann sich retten, verliert aber ihren Schal, an dem wiederum die Löwin mit ihrem blutverschmierten Maul geknappert hat. Den wiederum findet Priamus, glaubt, dass seine Thisbe tot ist und bringt sich um. Thisbe wiederum bringt sich um, als sie Priamus tot findet. Das Blut der beiden tränkt den Boden und der Maulbeerbaum wird rot. Das Ganze ist dann noch ein bisschen verquer übersetzt, aber sagen will Beatrice, dass Dante immer an diese Geschichte denkt, anstatt an die wichtigen Dinge im Leben. Unter Umständen unterstellt sie ihm sogar, dass er mit Lust an diese Dinge denkt und das geht ja gar nicht.

So hättest du am Baume längst entdeckt,
Nach all den Zeichen, was des Herrn Verbot
in seiner Allgerechtigkeit bezweckt!

Aha. Das ist interessant. Also der Dante blickt da auch nicht so richtig durch, mit dem Baum der Erkenntnis und was es mit diesem für eine Bewandtnis hat. Da wird uns ja ganz warm ums Herz. Wenn Dante da nicht durchblickt, dann blicken wir da natürlich dreimal nicht durch. Aber wir bezweifeln, dass Beatrice das tut, die tut nur so.  

Doch weil dein Geist versteint in Sündennot,
Und ich dein Herz in buntem Tand seh schwanken,
Dass dich mein Lichtwort nur zu blenden droht,

So nimm, wenn auch als Bild nur, in Gedanken
Mein Wort mit, wie man von der Pilgerfahrt
Den Stab heimbringt, dran Palmenblätter ranken.


Das ist ja mal eine ganz üble Masche. Weil sie ganz offensichtlich selber nicht weiß, was es mit dem Baum der Erkenntnis auf sich hat, tut sie so, als ob es völlig sinnlos wäre, das Dante zu erklären, weil der sich nur mit Tand beschäftigt. Das erinnert mich ja an meine Studizeit, immer wenn man so ganz elementare Fragen stellte, z.B. warum man nicht einfach sagen kann, dass diese oder jene Interpretation schlicht und einfach Quark ist, wurden die Professorchen immer irgendwie laut und hysterisch, unterstellten einem niedere Beweggründe. - Die zweite Terzine hat dann zu der ersten irgendwie gar keinen Bezug, das ist so wie in dem Lied von Roy Black:  

Das Schönste im Leben ist die Freiheit
denn dann sagen wir hurra

Ein logischer Bezug besteht da auch nicht. Weil sein Geist verkrustet und leicht abwesend ist, soll Dante ihr Wort in seinem Herzen tragen, so wie der Pilger, der einen Pilgerstab hat, wenn er sich aufmacht auf die Wanderung ins heilige Land.  

Und ich: „Wie Wachs des Siegels Form bewahrt,
Die ihm des Petschafts Druck vermag zu geben,
So stempelt Ihr mein Herz auf gleiche Art.


Rätsel über Rätsel. Beatrice hat ihm bis jetzt nur gesagt, dass er, aus welchen Gründen auch immer, etwas durch den Wind ist. Und diese weisen Worte trägt er nun im Herzen. Hm. Der hätte mal mich fragen sollen, der Dante, ich hätte ihm schon sehr viel detaillierter beschrieben, wo er Macken hat. Das hätte sich bei ihm dann vielleicht nicht ins Herz eingedrückt, aber ins Hirn und das ist ja auch schon mal was. Aber richtig dicke kommt es jetzt:

Doch warum lasset Ihr so hoch sich heben
Das teure Wort? – Je weniger kann ich‘ s sehen,
Je mehr mein Blick sich müht, ihm nachzustreben.


Also das sagt er tatsächlich:

Ma perché tanto sovra mia veduta
vostra parola disiata vola,
che più la perde quanto più s'aiuta?» 

Doch warum fliegt so weit über meinem Blick
Ihr geliebtes Wort,
so dass je mehr ich mich bemühe, es entschwindet

Wir gehen mal davon aus, dass mit Blick (veduta) Fassungsvermögen gemeint ist, die Worte Beatrices übersteigen also sein Fassungsvermögen und je mehr er darüber nachdenkt, desto weniger kapiert er. Beatrice wird uns also richtig sympathisch, sie sagt jetzt mal ein paar Dinge, die wir uns auch schon gedacht haben. Der Geist Dantes ist etwas verkrustet und das großer Cleverle, dass er sein will, ist er auch nicht, der blickt nämlich auch nicht durch. Dass der Autor und Beatrice aber zur selben Beurteilung des Geisteszustandes Dantes kommen, heißt noch lange nicht, dass sie sich auch über die Gründe einig sind, die diesen Zustand herbeigeführt haben. In einem ähneln sich aber Beatrice und Dante, sie sprechen gerne in Rätseln.

Und sie: „Dass du die Schule kannst verstehen,
Der du gefolgt bist, merken kannst, wie weit
Sie Kraft hat, meinem Worte nachzugehen,

Sehn, wie ihr fern auf euerm Irrweg seid
Der fern von Gottes Weg, wie von der Erden
Des höchsten Himmels ewige Herrlichkeit.

Schauen wir uns das im Original an:

«Perché conoschi», disse, «quella scuola
c'hai seguitata, e veggi sua dottrina
come può seguitar la mia parola;  

e veggi vostra via da la divina
distar cotanto, quanto si discorda
da terra il ciel che più alto festina».


“Da du die Schule kennst”, erwiderte sie,
„der du folgtest, ihre Lehren kennst, kannst
du ermessen, wie weit du meinem Worte folgst  

weißt, wie weit dein Pfad
vom göttlichen Pfade abgewichen, wie weit entfernt
die Erde ist vom Himmel und der höchsten Sphäre

hm. Also sagen will sie, dass er sehr wohl beurteilen kann, wie weit die Lehre dieser Schulen (Philosophie, „weltliche“ Wissenschaften) von dem entfernt ist, was sie ihm sagt, er also weiß, wie weit diese Lehren entfernt sind vom Himmel. Das Problem ist, dass wir nicht erfahren, um welche Lehren es sich dabei handelt. So abstrakt gesehen ist das natürlich völliger Schwachsinn, denn „irdische“ Wissenschaften bringen einen ganz irdisch konkreten Nutzen und nur Leute wie die Taliban, die absolut nicht sehen, wie sie das Irdische in Ordnung bringen, heben ihren Blick gebannt gen Himmel.

Sehn, wie ihr fern auf euerem Irrweg seid,
Der fern von Gottes Weg, wie von der Erden
Des höchsten Himmels ewige Herrlichkeit.“


Dass Beatrice das so sieht, kann man nachvollziehen, die ist ja im Himmel, also Beamtin im himmlischen Reich und beamtentypisch erklärt sie ihren Zuständigkeitsbereich für das Allerwichtigste überhaupt. Das Mädel hätte mal ein bisschen arbeiten sollen, das würde vielen Beamten gut tun, dann wüsste sie, wie bunt und komplex auch das irdische Reich ist.

Also eine richtig inhaltlich substantielle Diskussion kommt zwischen den beiden nicht zustande. Wir schließen daraus, dass sie im Grunde noch, soweit das bei zwei so Langweilern überhaupt möglich ist, immer noch ineinander verliebt sind, das ist die einzige Erklärung. Wer wird sich schon beim ersten Date über irgendetwas Ernstes, Substantielles unterhalten. Wir vermuten, die zwei haben sich tief in die Augen geschaut und das Gebrabbel ist völlig irrelevant.

„Wie?“ sprach ich, „hätt ich je, Euch fremd zu werden
Versucht? Und wär ich wirklich Euch entronnen,
Empfände mein Gewissen nicht Beschwerden?“

„Und wenn du dich trotzdem noch nicht besonnen“,
Sprach lächelnd sie, „gedenke, dass soeben
Dein Herz sich erst erquickt an Lethes Bronnen.

Also Dante behauptet, dass er die ganze Zeit emsig Thomas von Aquin studiert hat, also nichts Irdisches. Er ist sich also keiner Sünde bewusst. Beatrice wiederum behauptet, dass er das sehr wohl getan hat, aber sich jetzt nicht mehr erinnert, weil er ja im Lethe gebadet worden ist.

Wie Rauch vermag ein Feuer anzugeben,
So zeigt dein Nichtbesinnen mir: Es war
nicht fleckenlos, ein, schuldvermischt dein Streben!


??? Das Bild - wo Rauch ist, ist auch Feuer - ist hinlänglich bekannt und oft ein treffendes Bild. Hier allerdings ist ja gar kein Feuer. Wenn Dantes Erinnerungen tatsächlich vollkommen gelöscht sind, dann kann er sich an seine Sünden auch nicht erinnern, er ist nicht verstockt (das könnte man als Rauch deuten), sondern schlicht ahnungslos. Das Bild, das Beatrice hier abliefert, passt also gar nicht. Wir wollen ja überhaupt nicht erwähnen, dass die Fähigkeit zu einer bestimmten Situation das passende Bild / Sprichwort, die passende Redewendung zu finden von Intelligenz zeugt, bzw. von deren Nichtvorhandensein, wenn ein Griff ins Klo auf den nächsten folgt. Das Mädel mag ja hübsch gewesen sein, aber auch ein bisschen dappig.

Fortan soll jedes Redeschmuckes bar
Mein Wort dir klingen, dass sich deutlich weise,
Was deinem stumpfen Menschenblick nicht klar!


Yo. Darauf warten wir schon lange, dass jeden Redeschmuckes bar ein Wort erklingt, welches dann klärt, was unserem stumpfen Menschenblick durchaus unklar. Wenn wir aber bedenken, dass es jetzt ins Paradies geht, also in eine Sphäre, die allem Irdischen endgültig entrückt ist, höchstwahrscheinlich auch jeder Logik, dann sind wir nicht gerade hoffnungsfroh. Bedenken wir dann weiter, dass Beatrice dann das Kommando übernimmt, dann sind wir nicht nur nicht hoffnungsfroh, wir sind dann sogar ganz und gar die Hoffnung los.  

Noch glühender, doch träger schon im Kreise
Nahte der Sonnenball dem Meridiane,
Der sich dem Blick verschiebt, als ihre Reise

Das ist ziemlich falsch übersetzt, das Original geht so.

E più corusco e con più lenti passi
teneva il sole il cerchio di merigge,
che qua e là, come li aspetti, fassi

Und glühender noch und langsamen Schrittes
betrat die Sonne den Mittagskreis
der hier und dort gemäß der Lage unterschiedlich


Allerdings ist auch schon das italienische Original völlig verquer. Der Meridian (der Begriff stammt zwar aus dem Lateinischen circulus meridianus = Mittagskreis), hat aber mit Mittag überhaupt nichts zu tun. Es ist schlicht ein halber Längenkreis. Der Zeitpunkt, an dem die Sonne am höchsten steht, ist tatsächlich abhängig vom jeweiligen Längengrad, auf dem man sich befindet. Der Meridian selber ist aber nicht irgendwie kausal abhängig von der geographischen Lage, sondern mit Hilfe der Längen- und Breitengrade wird eine Position beschrieben. Wie das mit den langsamen Schritten zustande kommt, ist dem Autor ein Rätsel, er würde schlicht vermuten, dass die Winkelgeschwindigkeit der Sonne immer die Gleiche ist. Unter Umständen kommt Dante auf diese Schnapsidee, weil die Zunahme des Schattens im Tagesablauf unterschiedlich schnell erfolgt, das ist aber ein ganz anderes Thema.  

Die sieben Fraun gehemmt – wie bei der Fahne,
Wenn sich Verdächtges scheint am Weg zu zeigen,
Der Führer halten lässt die Karawane.


Die Quintessenz dieser Terzine ist, dass die Weiber angehalten haben. Hat Ihnen der Autor schon erzählt, was Lyrik ist bzw. was es nicht ist? Hat er schon, also weiter.

Beleuchtet war der Ort so blass und eigen,
Wie sich auf Berggewässer Schatten legen,
Wenn sie der Hochwald deckt mit dunkeln Zweigen.

Da schauen wir uns besser mal kurz das italienische Original an. Da die Terzinen zusammengehören, schauen wir uns beide an.

quando s’ affisser, sì come s'affigge
chi va dinanzi a gente per iscorta
se trova novitate o sue vestigge,  

le sette donne al fin d'un'ombra smorta,
qual sotto foglie verdi e rami nigri
sovra suoi freddi rivi l’ Alpe porta.


sie hielten inne, wie auf ein Zeichen
dessen der an der Spitze schreitet zum Geleit
nach Neuem oder Fremden Ausschau haltend

die sieben Frauen am Ende eines dunklen Schattens
wie er entsteht unter grünen Blättern und schwarzen Zweigen
auf den kalten Flüssen in den Alpen


 Wir vermuten jetzt schlicht, dass der Wald zu Ende war und sie am Rande einer Lichtung waren.

Euphrat und Tigris schienen mir entgegen
Zu strömen: Schnell erst aus vereinter Quelle,
Dann träg, wie Freunde sich zu trennen pflegen.


Also, dass sich Freunde träge trennen (quasi amici, dipartirsi pigri) ist merkwürdig, unter Umständen, wenn sie stockbesoffen aus der Kneipe taumeln. Euphrat und Tigris stehen hier für den Fluss Lethe, in dem alle Erinnerungen gelöscht werden und Eunos, wo, so man darin badet, die guten Erinnerungen wieder auftauchen. Das Verfahren ist natürlich eigenartig. Man stelle sich mal eine Festplatte vor, bei der man im ersten Schritt alle Daten platt machen muss, um dann in einem zweiten die relevanten wieder aufzuspielen. Technisch waren die Griechen, oder wer immer sich das ausgedacht hat, halt nicht so versiert.

„O du, der Menschheit Ruhm und Sonnenhelle,
Was für ein Strom bricht hier vereint zutage
So stark und spaltet plötzlich seine Welle?“


Die Frage ist ja nicht absurd, aber jetzt kommen Beatrice und Matelda (Matelda ist, das erfahren wir jetzt auch mal, der Name der Frau, die Blumen pflückte, als er das Paradies betrat).

Bescheid ward mir auf diese Bitte: „Frage
Matelda um Bescheid.“ Und darauf sagte
Wie in der Abwehr vorwurfsvoller Klage  

Die Schöne: „Dies und was er sonst noch fragte,
Hab ich ihm schon erklärt und bin gewiss
Dass er mit Unrecht Lethe drob verklagte.“


Jetzt müssen Sie mal in sich gehen. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Sie stellen eine relativ harmlose Frage und werden mit so einem arroganten Müll zugekleistert, anstatt eine Antwort zu erhalten? Wo passiert einem sowas? Richtig! In der öffentlichen Verwaltung. Sie gehen zum Beispiel ins Schwimmbad und fragen die einsam dasitzende Dame an der Kasse, die absolut nichts zu tun hat, wann das Freibad schließt und erhalten als Antwort: „Steht doch da drüben!“ Aufgefallen ist Ihnen ja sicher auch schon das völlig unterschiedliche Verhalten am Telefon bei mittelständischen Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung. Bei ersteren sind Sie Kunde, bei letzteren ein Störfaktor. Wir wissen zwar immer noch nicht, wie das Paradies aussieht, aber eines wissen wir: herrscht dort keine marktwirtschaftliche Ordnung, dann sind Sie da so ziemlich der letzte Arsch. Es ist also völlig unter der Würde der himmlischen Beamtin Beatrice, diese durchaus berechtigte Frage zu beantworten. Das delegiert sie, was wiederum typisch ist für die öffentliche Verwaltung. In der Zeit, in der sie es delegiert, hätte sie die Frage auch gleich beantworten können.

Und Beatrice: „Leicht mag Finsternis
Verschleiernd sich auf sein Gedächtnis legen,
Wenn größre Sorge dessen Band zerriss.“


Schauen wir uns mal das italienische Original an:

E Beatrice: «Forse maggior cura,
che spesse volte la memoria priva,
fatt'ha la mente sua ne li occhi oscura.  

Und Beatrice: “Vielleicht hat größer Sorge,
die oft die Erinnerung verdunkelt
seinen Verstand und seine Augen trüb gemacht“


Hm. Also zu dem konkreten Vorgang passt die Bemerkung natürlich gar nicht, weil sein Gedächtnis ja sozusagen mechanisch gelöscht wurde, durch ein Bad im Fluss Lethe, seine Gemütsverfassung spielt hierbei überhaupt keine Rolle. Unabhängig davon kann die Bemerkung richtig sein. Schwere Depressionen können den Verstand lahmlegen. Inwieweit diese aber auch die Erinnerungen auslöschen, ist unklar. Die Bemerkung wäre ausbaufähig, so plakativ vorgetragen sagt sie natürlich nicht viel.

Doch sieh: Eunos rieselt uns entgegen!
Um die verstorbnen Kräfte neu zu wecken,
Führ ihn zur Flut, gewohnten Amts zu pflegen.“


Das ist jetzt wieder öffentliche Verwaltung. Solange da nur ein einsamer Dante ankommt, kann man den ja noch persönlich in den Eunos tunken, damit die guten Erinnerungen erwachen (dasselbe würde man übrigens auch mit Marihuana erreichen, da werden die guten Erinnerungen zwar nicht erweckt, aber die Vergangenheit wird durchaus positiv „umgestaltet“). Kämen da jeden Tag, was realistischer ist, ein paar Millionen an, dann braucht es schon eine ausgefallenere Logistik.

Im Übrigen brauchen Menschen, so sie gesund sind, weder einen Lethe noch einen Eunos. Das machen wir nämlich ständig. Die schlechten Erinnerungen merzen wir aus, die guten halten wir hoch und unser Verhalten interpretieren wir auch gerne mal ein bisschen um. Das hat schon Goethe festgestellt.

Alle Tag und alle Nächte
rühm ich so des Menschen Los;
denkt er ewig sich ins Rechte,
ist er ewig schön und groß.

Ob allerdings die komplette Neuformatierung der Festplatte eine wirklich gute Idee ist, kann man dann doch bezweifeln, insbesondere gibt das künstlerisch wenig her. Dante hätte das berühmte „Erkenne dich selbst“, dieses prankt immerhin in der Vorhalle des Tempels zu Delphi, kennen können. Die einzige Möglichkeit, sich selbst zu erkennen, sind aber die Erinnerungen, bzw. die Erlebnisse, die das aufwühlen, was man ist und das ist durchaus nicht bei allen Menschen das Gleiche. Das ist der Kniff des Romans „A la recherche du temps perdu“, „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust. Das wahre Ich, das „vrai moi“ entfaltet sich in der Zeit. Die tabula rasa, das - mit Hegel gesprochen - reine unmittelbare Sein, ist das Nichts. Nur wer gar nicht wissen will, wer er ist, sondern sein Selbst lediglich zurichten will auf ein System, kann den Wunsch haben, die Erinnerungen auszulöschen.

So fasste meine Hand beim Weiterschreiten
Die Schöne; und nach edler Frauen Art
Sprach sie zu Statius: „Komm! Uns zu begleiten.“


Ach ja, den hätten wir fast vergessen, der latscht ja immer hinterher, der Statius und wird jetzt auch gebadet.

Die folgenden Verse beurteilen wir natürlich sehr kritisch.

Hätt ich mir, Leser, größern Raum gespart,
Dir würd ich einen Teil der Wonnen singen
Des Tranks, von dem ich nie gesättigt ward.


Das ist es eben, was wir bezweifeln würden. Wir bezweifeln, dass Dante irgendwelche Wonnen erlebt hat, und noch mehr, dass er in der Lage ist, diese zu schildern. Man kann sich vorstellen, dass ein begnadeter Dichter rein KONTEMPLATIV mit großer Intensität etwas „erleben“ kann, allerdings wird es sich dabei um irgendetwas handeln müssen, was zumindest von einem konkreten Erlebnis angestoßen wurde. Dante aber will uns Wonnen schildern, die überhaupt keinen Bezug zur Realität haben, will uns also berichten von Wonnen im emotional / sinnlichen / geistigen Nirvana. So was gibt es nicht. Dichtung kann auch Antiwelt sein (sie ist es bei Maria Vargas Llosa, Historia de un deicidio, Geschichte eines Gottesmordes. Die Welt ist flach, langweilig, es mangelt an Intensität und der Dichter schafft eine Welt, die hiervon das Gegenteil ist), dies sei konzediert, aber auch in der Antiwelt ist eben die Welt vorhanden, sie ist der Schatten, ohne die die Sonne nicht gesehen wird. In der bildenden Kunst gibt es die Antiwelt als Programm, bei Kandinsky zum Beispiel. Aber wie verschlungen die Wege auch sein mögen, auch dort ist sie neue Welt (O-Ton Kandinsky: Ein Kunstwerk zu schaffen heißt, eine neue Welt zu schaffen), ist der Gegenentwurf zur Welt und ohne Welt keine Antiwelt. Man braucht aber gar nicht so weit auszuholen, das Problem ist offensichtlich. Die Luft ist so dünn, dass Dante nur noch mit äußerst spärlichen Bemerkungen berichten kann, eigentlich nur mit dem Hinweis, dass er dort unendliche Wonnen empfunden hat. Die Wonnen kann er aber nicht mehr näher beschreiben. Das ganze Geeiere, die vagen Andeutungen, die Wortdrechslereien, die schiefen Metaphern und Vergleiche sind auch Ausdruck eines konzeptionellen Fehlers. Im emotional / sinnlichen / geistigen Nirvana gibt es keine Wonnen, es gibt dort zwar auch kein Leid, aber eben auch keine Wonnen und eine terra incognita lässt sich vielleicht theoretisch beschreiben, aber um zu beschreiben, was man dort fühlt, müsste man mal dagewesen sein.

Doch weil die Blätter mir zu Ende gingen,
Die ich bestimmte für den zweiten Sang,
So hemmt der Zaum der Kunst mein Weiterdringen.


Das würden wir jetzt glatt als Ausrede interpretieren, genauer gesagt würden wir von einer Flucht in den Formalismus sprechen. Offensichtlich ist Dante selber aufgefallen, dass seinem Werk eine „innere Notwendigkeit“ fehlt und er versucht, diesen Mangel durch formale Symmetrie und Zahlenhokuspokus zu ersetzen, will durch Formalismus eine „innere Notwendigkeit“ vortäuschen, die de facto nicht existiert. Und mit einem Vers, der an der systembedingten Schwäche leidet, endet dann auch der letzte Gesang des Läuterungsberges.

Verjüngt ich aus der heiligen Flut mich schwang
Gleich einer Pflanze, die im tiefsten Kerne
Der Lenz mit neuer Lebenskraft durchdrang,

Rein und bereit zum Fluge durch die Sterne.

Das heißt im Original:

Io ritornai da la santissima onda
rifatto sì come piante novelle
rinnovellate di novella fronda,

puro e disposto a salire a le stelle


Aus den heiligen Wellen tauchte ich auf
auferstanden ganz wie eine frische Pflanze
die ganz erneuert ward von neuem Laub

rein und bereit aufzubrechen zu den Sternen

Für seine Wonnen kann er keine Beschreibung finden, die Metapher bringt uns wenig, da uns völlig unklar ist, wie sich eine Pflanze fühlt, die wieder grün wird. Wir vermuten, die fühlt gar nichts. Der Vergleich wäre dann zwar zutreffend, weil im emotionalen / sinnlichen / geistigen Nirvana tatsächlich nichts gefühlt wird, aber Dante will mit diesem Bild ja seine Wonnen beschreiben. Eine Pflanze hat aber keine Wonnen, zumindest nach allgemeiner Auffassung und selbst wenn sie irgendwelche Wonnen fühlt, ist das Bild nicht suggestiv, denn absolut niemand wird die Empfindungen einer knospenden Pflanze nachempfinden können. Wir gehen also davon aus, dass Dante letztlich gescheitert ist, die Schiefheit der Metaphern und Vergleiche letztlich systembedingt ist, und wir glauben kaum, dass er im Paradies, was ja noch eine Abstraktionsebene höher anzusiedeln ist, uns vom Gegenteil wird überzeugen können.